Symptomatische Phantomräume. Neue Fotoarbeiten von Doris Krüger

Katalogtext zur Ausstellung: Gisela Erlacher – Doris Krüger – Doris M. Würgert, Fotogalerie Wien, 5.4.–28.4.2001. Publiziert in: Bilderheft Nr. 169. Mit Texten von Petra Schröck, Georg Schöllhammer und Marie Röbl, Kat. Fotogalerie Wien 2001, S. 15–19

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Digitalprints auf Magnetfolie, Siebdruck auf beschichtetem Eisen, 29 x 41 cm

Doris Krügers (geb. 1974) mehrteilige Arbeit ›under construction‹ besteht aus weißen Metalltafeln mit schwarzer Rasterzeichnung, auf denen bunte, geometrische Bildfragmente mittels Magnethaftung angebracht, verschoben bzw. neu kombiniert werden können; sie entspricht strukturell annähernd einem Brettspiel wie Tangram. Der Titel verweist auf Krügers Material- bzw. Bildqelle – das Internet –, denn der Terminus ist für im Auf- bzw. im Umbau befindliche Websites gebräuchlich; in der englischen Redewendung klingt außerdem an, dass hier etwas einer Konstruktion unterworfen wird.

Vorgeführt werden operationale Bedingungen und Darstellungsverfahren bestimmter Bildmedien, die an der Konstruktion und Repräsentation von Räumen beteiligt sind. Die dabei verhandelten bzw. angewandten Medien sind im Internet veröffentlichte Architekturfotografie sowie das Computerprogramm Photoshop. Die Räume, die dabei bearbeitet oder durchlaufen werden sind einerseits der zentralperspektivische Illusionsraum der fotografischen Aufzeichnung sowie andererseits räumliche Aspekte von Handlungsfeldern – metaphorische Räume, wie das Internet oder der ›Graphic User Interface‹ am Computer. Spuren dieser Bildräume und Raumbilder werden schließlich in den Realraum (zurück)geführt.

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Digitalprints auf Magnetfolie, Siebdruck auf beschichtetem Eisen, 29 x 41 cm

Doch verfolgen wir den schrittweisen Transformationsprozess ausgehend von Krügers Bildauswahl: überwiegend (unmöblierte, menschen-)leere, öffentliche Innenräume, etwa Turnsäle, Schulungsräume, Fabrik- oder Ausstellungshallen, die alle auf ähnliche, frontalperspektivische Weise fotografiert wurden und im Internet auf diversen Homepages zu finden sind. Diese Räume wurden also bereits Mediatisierungen unterworfen, bevor die Künstlerin auf den Plan trat; die Bilder dieser Räume dienen spezifischen Zwecken – etwa der Vorstellung einer Lokalität zur identifikatorischen Verortung einer Institution oder der Präsentation eines eben fertiggestellten Gebäudes auf der Homepage eines Architekturbüros.

Der dokumentarische Charakter, den diese Zusammenhänge offenbar erfordern, schlägt sich in formal strengen, meist weitwinkeligen Aufnahmen nieder, die jeweils alle fünf elementaren raumbegrenzenden Flächen – Boden, Rückwand, Decke und zwei Seitenwände – ins Bild nehmen. Diese ›Guckkasten‹-Struktur der Aufnahmen suggeriert Totalität, sowohl Vollständigkeit der Räumlichkeiten als auch vollständige Überblickbarkeit, und kann somit als ein Emblem für die Zentralperspektive gelten: die Konstruktion einer kohärenten, homogenen Raumillusion, die sich auf Naturgesetze (Optik der Lichtstrahlen) beruft und auf einen imaginären körperlosen Betrachter hin organisiert ist. Auch die fotografische Projektion folgt (physikalisch gesehen) zentralperspektivischen Gesetzen. Als eine machtstrategische Verknüpfung von Diskursen und Praktiken, also als Dispositiv, ist die Zentralperspektive von außergewöhnlicher Dominanz und Permanenz.

Abgesehen von kulturtheoretischen Aspekten der Mediatisierung ist mit der Veröffentlichung der ausgewählten Raumbilder im Internet aber auch auf technischer Ebene ein wesentlicher Schritt erfolgt: Die indexikalische analog-fotografische Aufzeichnung wurde einer medialen Transformation, nämlich der Digitalisierung, unterzogen. Dies ermöglicht eine Weiterbearbeitung der Fotografien im ›digital darkroom‹. Hier nun wird die stringente Struktur der Zentralperspektive sozusagen auf eine Spitze ihrer zwangsläufigen Logik getrieben: Die Bilder der jeweiligen Räume werden auf ein ›Idealraummaß‹ hin verzerrt; alle Räume werden gleich hoch, gleich breit und gleich tief gemacht, wofür im Photoshop-Programm die fünf Elementarflächen eines jeweiligen Raum-Guckkastens extra zu bearbeiten sind.

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Digitalprints auf Magnetfolie, Siebdruck auf beschichtetem Eisen, 29 x 41 cm

Die Eingriffe der Künstlerin in die perspektivischen Raumbilder beginnen also mit einer Zerlegung, wobei die Raumkanten, an denen sich die Fluchtlinien der Perspektivkonstruktion manifestieren, die Schnittlinien abgeben. Die Einzelteile werden dann auf jeweils verschiedenen ›Ebenen‹, als geometrisch zweidimensionale Figuren, verzerrt. Bei dieser Entstellung werden nicht die Räume als Ganzes proportional verändert (in diesem Fall würden sie einander nur in einer der drei Raummaße angepasst werden können), sondern die Seitenlängen aller einzelnen Flächen werden so gestreckt bzw. gestaucht, dass sie in das vorgegebene Raster des ›Idealraumes‹ passen.

Die entstehenden Raumbilder weisen zwar noch alle Symptome der ursprünglichen Fotos auf, insofern kein einziger Pixel verloren gegangen ist, sind aber in ihrem räumlichen Zusammenhang ›gestört‹ – wie in einem Phantombild, in das alle Individual-Merkmale eingetragen wurden und das dennoch disparat wirkt. Dieser Mangel an Homogenität wird schließlich durch eine Re-Individualisierung ausgeglichen, indem jedem Raum eine eigene Farbtönung zugeordnet wird.

Und nun also kann gespielt werden: Die Beweglichkeit der Raumbildteile erlaubt die Konstruktion neuer hybrider Raumphantome; in diesen ›synthetischen Bildern‹ ist die raumillusionierende Wirkung der Zentralperspektive weitgehend in ausgeprägten Flächenmustereffekten aufgehoben. Krügers Dekonstruktionsprozess darf also nicht nur aufgrund seiner technischen Bedingungen so genannt werden, denn sie legt die Konstruiertheit von Raumdarstellung mittels Perspektive augenfällig bloß (die übrigens auch im Zeitalter digitaler Bildmedien präsent bleibt, denn der algorithmische Charakter der Perspektivkonstruktion lässt es mittlerweile auch zu, perfekte 3D-Modelle am Computer zu errechnen).

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Digitalprints auf Magnetfolie, Siebdruck auf beschichtetem Eisen, 29 x 41 cm

Wesentlich ist dabei auch die Verlegung der Konstruktionsarbeit vom (metaphorischen) Handlungsraum der Graphic User Interface des Photoshop-Programms in den Realraum der Fotogalerie, wo anstatt dem Symbol-Händchen am Bildschirm nun wirklich Hand angelegt werden kann. Denn damit verweist Krüger auf eine Diskussion im Spannungsfeld illusionärer und virtueller Räumlichkeit – also den Wechsel vom externen, körperlosen zum involvierten Betrachter elektronischer Interaktivität. Dass hier digitale Raumkonstruktion nachstellbar wird, die auf entstellte Raumprojektionen zurückgeht, ist wohl als eine ironische Brechung von Modellen räumlicher Fiktion bzw. Simulation zu lesen, die allzu euphorische Utopien von neuen Handlungsräumen in virtueller Räumlichkeit kritisch unterläuft.