Studio Manassé und Residenz-Atelier, Zwei Halbakte, Wien, um 1928

Artikel zur Online-Präsentation der Fotosammlung OstLicht, veröffentlicht nach Übersiedlung der Bestände an einen neuen Standort und Neugestaltung der Website www.ostlicht.org/sammlung/highlights (dort gekürzt)

RESIDENZ-ATELIER, Halbakt, Wien, Fleischmarkt, ca. 1928. Silbergelatineabzug, 15,9 x 21,3 cm, getont, montiert auf braunem Karton, Blindstempel ›Residenz-Atelier, Wien I‹. Courtesy: Fotosammlung OstLicht, Wien, Inv.-Nr. 85-01254

Im Residenz-Atelier, das ab 1914 am Wiener Fleischmarkt residierte, wurden seit den 1920er Jahren neben Porträts zunehmend auch Aktfotografien aufgenommen. Man folgte damit einer zeittypischen Strömung, die im Kontext verschiedener Entwicklungen stand, wie dem Aufkommen von illustrierten Magazinen, in denen Stars und Starlets aus Theater, Tanz, Film und Revue in glamourösen Fotografien abgebildet wurden (meist neben Klatschgeschichten, Artikeln zu Mode und modernem Lebensstil). Dort fand auch die neue Tanzbewegung ihren Niederschlag, die besonders in Wien eine Hochblüte erfuhr; weitere Hintergründe der neuen Freizügigkeit war die lebensreformerische Freikörperkultur, die hüllenlose Bewegung an der frischen Luft propagierte, oder auch ein Wandel in den Geschlechterrollen, der anhand der visuellen Kultur der Epoche in vielen Facetten ablesbar ist.

STUDIO MANASSÉ, Halbakt mit Zigarette, aus der Mappe ›L'ève du Monde. Die schöne Wienerin‹, 1928. Silbergelatineabzug, 21,7 x 16 cm, getont, links unten Signatur einbelichtet ›Manassé/Wien‹. Courtesy: Fotosammlung OstLicht, Wien, Inv.-Nr. 85-01221

Führend in der Glamourfotografie in Wien war das von Olga und Adorján Wlassics gegründete Studio Manassé. Die Bildproduktion von Manassé visualisiert einen Katalog an weiblichen Klischees: Vamp, Diva, Unschuldsengel, Spielzeug(puppe) und Märchenfigur sind die vorherrschenden Stereotypen, die auch miteinander kombiniert wurden, wodurch sich mitunter verblüffende Bedeutungsverschiebungen ergaben. Die Arrangements um Modelle in wohlüberlegten Posen, ausgestattet mit Requisiten wie Schleier, Pantöffelchen oder Zigaretten, wurden meist in dramatisches Licht gesetzt; die von Olga geschaffenen Aufnahmen von Adorján mittels Montageverfahren und Retusche weiterbearbeitet.

Der braun getonte Halbakt des Residenz-Ateliers entspricht dem Ideal der sinnlichen Frau, die sich ihrer Erotik gleichsam selbst nicht entziehen kann – dass die scheinbar selbstvergessene Berührung, mit der sich die schöne Wienerin an den Hals fasst, über die Freude am eigenen Körper hinausgeht und an einen (männlichen) Betrachterblick adressiert ist, verrät auch die manierierte Haltung der anderen Hand. Markantes Detail dieses Bildes ist das deutlich sichtbare Achselhaar, das hier nicht weg-retuschiert wurde. Auffällig ist diese Abweichung ist auch vor dem Hintergrund jenes Schönheitsideals, wie es sich in zeitgleichen Aktdarstellungen von Trude Fleischmann zeigt, für die Tänzerinnen in scheinbar skulpturhafter, da (scham)haarloser Ebenmäßigkeit posierten. Das Motiv aus dem Studio Manassé folgte ebenfalls dieser üblichen Praxis glättender Retusche, bezog sich allerdings auf eine andere Bildkultur als Fleischmanns scharf gezeichnete Bewegungsstudien: Olga Wlassics war in Filmschauspielerin, bevor sie als Fotografin reüssierte. Dies zeigt sich in den ästhetischen Details dieser Aufnahme etwa in der Wahl eines Hintergrundes, der eine blinkend-gleißende Lichtsituation suggeriert oder in der artifiziellen Pose des Modells, dessen Darstellung nicht als eine quasi-realistische, narrativ fassbare Szene, sondern als Idealbild glamouröser Unnahbarkeit inzeniert wurde.


Lit.: Monika Faber, Die Frau, wie du sie willst. Glamour, Kult und korrigierte Körper. Atelier Manassé 1922–1938, Wien/München 1999, S. 77 (Abb. aus ders. Serie); Michael Koetzle, Uwe Scheid, Feu d’Amour. Verführerischer Rauch, Köln 1994 (Covermotiv).