Bruce Davidson, Marilyn Monroe am Set von ›The Misfits‹, Reno, 1960

Katalogtext zu Los 150 der ›100 Jahre Leica Auktion‹ am 23.5.2014 in Wetzlar, Am Leitz Park. Schätzpreis € 7000–9000. Publiziert in: 100 YEARS OF LEICA, WestLicht Photographica Auction, Wetzlar, hg. von Peter Coeln, Wien 2014, S. 322f (dort leicht gekürzt)

BRUCE DAVIDSON, Marilyn Monroe am Set von ›The Misfits‹, Reno, Nevada, 1960. Vintage Silbergelatineprint, 19,6 x 29,8 cm, rücks. Fotografenstempel in violetter Tinte, Neg.-Nr.-Stempel ›60-21-25/19‹ in blauer Tinte, div. Beschr. Courtesy: Westlicht Photographica Auktion, Wien

Die Dreharbeiten zu ›The Misfits‹ wurden von neun Magnumfotografen dokumentiert, darunter Kaliber wie Cartier-Bresson, Eve Arnold und Elliott Erwitt, die die Dramen des Filmplots ebenso verfolgten wie jene hinter den Kulissen. Das Drehbuch war ein Geschenk Arthur Millers an seine Frau Marilyn Monroe, um ihr endlich eine anspruchsvolle Rolle zu verschaffen. Zum Zeitpunkt der Filmaufnahmen stand die Ehe allerdings kurz vor der Scheidung und Miller traf am Set auf Inge Morath, die er 1962 heiraten sollte (während Monroe im selben Jahr verstarb). Ein Klinikaufenthalt Marilyns verzögerte die Filmaufnahmen und es kam zu Konflikten wegen Paula Strasberg (hier im Hintergrund mit schwarzem Sonnenschirm), die wie ein Guru über Monroe wachte, aber deren zunehmenden Tablettenkonsum auch nicht verhindern konnte. Außerdem gab es Alkoholexzesse und große Hitze – Anstrengungen, die kurz nach Drehschluss Clark Gables tödliche Herzattacke auslösten.

Bruce Davidson war der jüngste Magnumfotograf am Set. Er schuf eine Reihe von eigenständigen Bildern, die die Stars in wilder Ausgelassenheit, bei kollegialem Schäkern und in Erschöpfung zeigen. Mit dieser Aufnahme gelang ihm ein außergewöhnliches Porträt Marilyns in jenem Kirschen-Kleid, das sie als Roslyn in der längsten Szene des Films trägt. Darin führt sie in einem verwahrlosten Schuppen einen intimen Dialog mit dem Rodeoreiter Perce, gespielt von Montgomery Clift (hier mit offenem Hemd rechts hinten im Bild).

Marilyn wirkt wie isoliert von ihrem Umraum, worin man eine Metapher für ein Hauptthema des Films sehen kann. Das Szenario dahinter läuft scheinbar unabhängig an der Kamera vorbei, ohne Verbindung zu jenem Star, der ansonsten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand, was andere Bilder nicht nur zeigen, sondern in den Porträts auch zelebrieren. Davidson fotografiert hingegen aus der Haltung der Street Photography und setzt sich damit deutlich vom Stil der ersten Magnumgeneration ab: Hier wird nicht mehr der perfekt ausponderierte Moment als geschlossene Komposition in den Ausschnitt des Kleinformatfilms gebannt, sondern ein vermeintlich zufälliger Moment beiläufig eingefangen, was sich etwa in Überschneidungen der Figuren durch den Bildausschnitt manifestiert.

Durch diesen Kontext gewinnt das Image des vielfach porträtierten Stars eine neue Facette: ihr Posing erscheint in der Unmittelbarkeit von Davidsons Zugriff als spontane Geste gegenüber einem sympathischen jungen Fotografen. Damit haftet Marilyns Bild hier eine Natürlichkeit an, die gleichzeitig als authentisches Dokument wie als Teil der Vielschichtigkeit ihrer Image-Konstruktion durch Medien und Filmindustrie gelesen werden kann.


Lit.: James Goode, The Story of The Misfits, Indianapolis 1961 [Chronik der Dreharbeiten]; Alain Bergala, Magnum Cinéma. Des histoires de cinema par les photographes de magnum, Paris 1994, S. 11f. and 170 [aus ders. Serie]; Arthur Miller, Serge Toubiana, The Misfits. Story of a Shoot, London/München 2000, S. 42, 92, 131, 133, 136 [aus ders. Serie]