Walter Henisch, Angriff der Wehrmacht auf einen sowjetischen Waffentransport, Smolensk, 1941

Artikel zur Online-Präsentation der Fotosammlung WestLicht, veröffentlicht 2013 (seit der Reorganisation und Umbenennung in Fotosammlung OstLicht 2015 abrufbar unter https://www.ostlicht.org/en/collection/highlights)

WALTER HENISCH, Angriff der Deutschen Wehrmacht auf einen sowjetischen Waffentransport, Smolensk, August 1941, aus der Mappe ›Russland I, Kampfbilder‹. Silbergelatineabzug, 23,3 x 17,1 cm, montiert auf Karton, rücks. num. ›2379/22a‹ und ›H1/13‹. Courtesy: Fotosammlung OstLicht, Inv. 57-00347

An Kriegsschauplätzen erfährt das Berufsbild der Pressefotografie eine Zuspitzung, die dessen Anforderungen sowie Mythen besonders deutlich macht: Als ›unsichtbarer Beobachter‹ taucht der Fotograf ins Geschehen ein; er registriert es, vermeintlich neutral, mit verinnerlichter Apparatur. Die Virtuosität des Fotojägers zeigt sich dort, wo er im richtigen Augenblick, gleichsam automatisch, reagiert. Freilich erfüllt sich das Paradigma des Dokumentarischen nicht durch bloßes Registrieren, sondern erfordert fotografische und editorische Gestaltung (etwa durch Unschärfe oder Ausschnittwahl) um authentisch wirkende Fotografien zu schaffen. Die Bildfindung steht im Dienste einer Dramaturgie, die imstande sein muss, auch zeitliche, kausale und politisch verwertbare Kontexte eines Momentes zu verdeutlichen.

Nach seiner Friseurlehre begann Walter Henisch (1913–1975) mit 19 Jahren als freiberuflicher Fotograf in Wien zu arbeiten, u.a. für die Hitlerjugend. Während des Krieges arbeitete er in Propagandakompanien der Deutschen Wehrmacht. Er fotografierte an den Kriegsschauplätzen in Polen, Frankreich, Russland und am Balkan, wobei er neben den offiziellen Aufnahmen auch die Bevölkerung der besetzten Gebiete, Landschaften und Städte aufnahm. Nach dem Krieg gestaltete er aufwändige Fotoalben und zeigte seine Bilder vor allem im privaten Kreis, begleitet von Kriegserzählungen. Der Großteil dieses Nachlasses, der über 1.100 Abzüge umfasst, befindet sich in der Fotosammlung OstLicht.

Der Schriftsteller und Sohn des Fotografen, Peter Henisch, verarbeitete dieses Erbe in einem Roman. Darin wird ein Bericht von Walter Henisch über das Zustandekommen der vorliegenden Aufnahme wiedergegeben: ›Über einen Bahndamm zu kommen, der ungefähr in Hüfthöhe von den Russen beschossen wurde (…), war wirklich russisches Roulette. Zuerst liegt die Gruppe in Deckung: das ist ein Bild. Ein weiteres Bild: die krampfhafte Spannung in den Gesichtern. Sprung auf vorwärts – Soldaten, die rennen – Geduckte Soldaten – Zusammenbrechende – Schreiende (…). Eine Folge von 20 bis 30 Bildern. Von mir exponiert. Unter längst zum Instinkt gewordener Einschätzung der Licht- und Bewegungsverhältnisse. Im nächsten Unterstand werde ich diese Bilder ausarbeiten‹.

Kurz nach Beginn des Angriffs auf die Sowjetunion startete die Offensive der Wehrmacht in Richtung Smolensk, wo die Rote Armee eine neue Verteidigungslinie aufgebaut hatte. Dabei wurden große Teile der Roten Armee eingeschlossen. Auch wenn der als Blitzkrieg geplante Vorstoß nach Moskau verzögert wurde, war diese sogenannte Kesselschlacht ein operativer Erfolg für die Wehrmacht – der unvorstellbare Verluste für die russische Seite bedeutete. Insgesamt verlor die Rote Armee während der zweimonatigen Smolensker Operation rund 760.000 Mann.

Lit.: Peter Henisch, Die kleine Figur meines Vaters, Wien 1975, S. 95 (Zitat); Christian Stadelmann / Regina Wonisch (Hg.), Brutale Neugier. Walter Henisch, Kriegsfotograf und Bildreporter, Kat. Wien Museum, 2003, S. 57, 36.