Trude Fleischmann, Zwei Porträts von Adolf Loos, 1918 und 1922

Katalogtext zu den Losen 1037 und 1038 der 6. WestLicht Foto-Auktion am 12.5.2012, Schätzpreis je € 3000–4000. Publiziert im Auktionskatalog, hg. von Peter Coeln, Westlicht Photographica Auction, Wien 2011, S. 36f. (dort leicht gekürzt)

TRUDE FLEISCHMANN / ILSE HENRIETTE PISK, Adolf Loos, 1918. Vintage Silbergelatineprint im Postkartenformat, 10,7 x 8 cm, Initialen der Fotografinnen im Negativ. Courtesy: Westlicht Photographica Auktion, Wien (Los 1038)

Das Dreiviertel-Porträt von Adolf Loos (1870–1933) im modischen Tweedmantel liegt in einem außerordentlich seltenen Vintageprint vor. Es ist nur ein weiterer Abzug dieses Motivs bekannt, der allerdings später entstanden sein dürfte, da er eine Signatur von Trude Fleischmann (1895–1990) in der Art aufweist, wie sie sie ab 1920 setzte – daher wurde in einer Publikation 1982 das Porträt allein ihr zugeschrieben. Der hier angebotene Vintagesprint zeigt stattdessen im unteren Bildbereich die Initialen der beiden tatsächlich beteiligten Fotografinnen, also oberhalb von ›TF‹ auch ›IP‹ für Ilse Henriette Pisk (1892–1942).

Die Aufnahme entstand gegen Ende von Fleischmanns 3-jährigem Berufspraktikum im Atelier Hermann Schieberth am Kaiser Karl Ring 11 (heute Opernring). Dort waren Adolf Loos und sein Freund Peter Altenberg eines Morgens aufgetaucht, angeblich nach einer durchzechten Nacht, um sich von Schieberth fotografieren zu lassen. Da dieser verreist war, empfingen die beiden Praktikantinnen die prominenten Kunden, mit denen sie bereits aus dem Umfeld der Schwarzwald-Schule bekannt waren. Dabei entstand ein Doppelporträt, das als eine der ersten eigenständigen Arbeiten von Fleischmann gilt. Das seltenere Einzelporträt vermittelt die markante Persönlichkeit Loos’ noch deutlicher als das berühmtere Doppelbildnis aus derselben Sitzung. Sie äußert sich hier auch im Blick, in dem trotz der Verschattung durch die Hutkrempe eine ostentative Strenge, beinahe Trotz, zum Ausdruck kommt (weil auch das Lächeln Ornament ist).

TRUDE FLEISCHMANN, Adolf Loos, 1922. Vintage Silbergelatineprint im Postkartenformat, 9,2 x 7,8 cm. Courtesy: Westlicht Photographica Auktion, Wien (Los 1037)

Ein weiteres Brustbild von Adolf Loos fotografierte Trude Fleischmann 1922, im zweiten Jahr nach der Eröffnung ihres eigenen Ateliers in der Ebendorferstraße 3 in Wien. Auch diese Aufnahme ist relativ wenig verbreitet – Fleischmanns berühmte, wiederholt veröffentlichte Loos-Porträts mit dem Höhrrohr entstanden später, anlässlich von dessen 60. Geburtstag im Jahr 1930. Vintageprints dieses Motivs sind ebenfalls rar. Es wurde am 10. Dezember 1930 in der Zeitung Der Wiener Tag veröffentlicht, wo man vermutlich nach einer Alternative zum ›Hörrohr-Motiv‹ gesucht hatte. Selbstredend wirkt Loos hier, mit aufgestützten Unterarmen und aufwärtsgerichtetem Blick deutlich jünger als acht Jahre später. Die Bildkonzeption mit engem Ausschnitt und in perfekter Symmetrie erinnert noch an die 1910er-Jahre, etwa Aufnahmen von Anton Josef Trcka.

Lit.: Burkhardt Rukschcio/Roland Schachel, Adolf Loos. Leben und Werk, Salzburg 1982, S. 227, ill. 222 (Los 1038: datiert ›1918‹, T. Fleischmann allein zugeschr.), S. 258, ill. 250 (Los 1037, datiert ›ca. 1922‹); Adolf Opel (Hg.), Konfrontationen. Schriften von und über Adolf Loos, Wien 1988, Cover (Los 1037); Anna Auer, Trude Fleischmann. Fotografin 1918–1938, hg. von Johannes Faber, Wien 1988 (Los 1038: Interview zu den Entstehungsumständen); A. Holzer, F. Kreutler (Hg.), Trude Fleischmann. Der selbstbewusste Blick, Kat. Wien Musem 2011, S. 15 (Los 1038: Doppelporträt aus ders. Serie, Wien Museum, HWM 94835).