Hermann Nitsch, Fototableau mit 12 Motiven aus der 8. Aktion ›Penisbespülung‹, 1965

Artikel zur Online-Präsentation der Fotosammlung WestLicht, veröffentlicht 2012 (seit der Reorganisation und Umbenennung in Fotosammlung OstLicht 2015 abrufbar unter www.ostlicht.org/sammlung/highlights)

HERMANN NITSCH, Fototableau mit 12 Motiven der 8. Aktion, ›Penisbespülung‹, Wien, Wohnung Nitsch, Jedlersdorfer Straße, 22. Jänner 1965. Fotograf: Siegfried Klein. Silbergelatineabzug, 65 x 50 cm, rücks. signiert, datiert, betitelt und nummeriert ›1/1‹. Courtesy: Fotosammlung OstLicht, Inv. 63-00703_11

Das übergeordnete dramaturgische Konzept des ›Orgien-Mysterien-Theater‹ (OMT) von Hermann Nitsch (1938–2022) unterscheidet sich maßgeblich von der Herangehensweise der anderen Aktionisten. Nitschs Aktionen folgen einem vorher in Partituren festgelegten Handlungsablauf mit rituellem Charakter, weshalb einzelne Handlungen oder ganze Aktionen jederzeit wiederholt oder neu kombiniert werden können. Dagegen sind Günter Brus’ und Otto Muehls Aktionen als einmalige Ereignisse konzipiert; und Rudolf Schwarzkoglers Aktionen, die zwar wie jene von Nitsch im Vorhinein detailliert geplant sind, werden primär für die Kamera durchgeführt und nicht als ein direkt auf RezipientInnen gerichtetes Geschehen.

Seit Beginn der 1960er Jahre formulierte Nitsch Teil für Teil die dramaturgischen Elemente seines OMT. Die zentralen Motive der Kreuzigung (›1. Aktion‹ 1962), der Lammzerreißung (›2. Aktion‹ 1963) oder des dionysischen Festes (›Fest des psycho-physischen Naturalismus‹ 1963), wurden bereits in seinen ersten Aktionen manifest. 1965 kam ein neues Element dazu, die Körpercollage in Form der sogenannten ›Penisbespülung‹; dabei wird der Penis eines passiven Akteurs mit Blut und Eiern übergossen bzw. mit Fleisch, Innereien oder Damenbinden belegt. Im Jänner 1965 zeichnete Nitsch Skizzen zum Ablauf der ersten ›Penisbespülung‹, in denen alle gewünschten Positionen festgelegt und genau beschrieben sind, bis hin zum fotografischen Aufnahmewinkel.

Ab der 8. Aktion arbeitete Nitsch – weitgehend ohne Publikum – intensiv an der Formensprache und ästhetischen Umsetzung dieses Motivs. Rudolf Schwarzkogler stand ihm bis zur 11. Aktion als Akteur zur Verfügung. Die Aufnahmen übernahm der Fotograf Siegfried Klein. Das vorliegende Fototableau collagierte Nitsch aus Kleins 6x6 cm-Kontakten, die er mit Filzstiftmarkierungen akzentuierte; die so entstandende Collage ließ Nitsch schließlich fotografieren und als vergrößerten Print produzieren.

Die deutlichen Markierungen verweisen auf Nitschs ästhetisches Konzept: Anstatt schräger Perspektiven, die eine verkürzte Darstellung des Körpers oder eine Dynamisierung der Bildstruktur begünstigen, bevorzugt er streng rechtwinkelige Blickwinkel, von vorne oder von oben aufgenommene Kompositionen. Ab der 11. Aktion wurden Nitschs ›Penisbespülungen‹ von Franziska Cibulka fotografiert, deren Mann Heinz für die folgenden 10 Jahre zu Nitschs wichtigstem Akteur wurde. Sie kam den ästhetischen Intentionen Nitschs noch weiter entgegen als Siegfried Klein (1931–1990), der seinerseits auch zahlreiche Aktionen von Otto Muehl dokumentierte.

Lit.: Wiener Aktionismus 1960–1971, Band 2, Der zertrümmerte Spiegel, hg. v. Hubert Klocker gem. mit Graphische Sammlung Albertina Wien u. Museum Ludwig Köln, Klagenfurt 1989, S. 275.