Giorgio Sommer, Dom und schiefer Turm von Pisa, Italien, um 1865

Artikel zur Online-Präsentation der Fotosammlung WestLicht, veröffentlicht 2011 (seit der Reorganisation und Umbenennung in Fotosammlung OstLicht 2015 abrufbar unter www.ostlicht.org/sammlung/highlights)

GIORGIO SOMMER, Dom zu Pisa, Italien, um 1865. Albuminpapierabzug, 18,4 x 24,4 cm, montiert auf Originalkarton. Im Neg. einbelichtet ›Nr. 3875. Il Duomo.Pisa.‹, am Karton Blindstempel ›Giorgio Sommer, Studio Monte di Dio 4, Magazzino S. Caterina 5, Napoli‹; ›Depot a Florence Via Maggio 15, J. Brecker‹, auf Deutsch handschr. betitelt. Courtesy: Fotosammlung OstLicht, Inv. 85-02057

Mit 23 Jahren zog der deutsche Fotograf Georg Sommer (1832–1914) nach Italien und reüssierte in der Folge zu einem der bekanntesten Fotografen italienischer Landschaften, Baudenkmäler und Kunstwerke. Er verkaufte seine Aufnahmen vor allem Reisende und bot sie in sämtlichen Formaten an, auch als Visit- und Stereokarten. Nach Anfängen in Rom eröffnete er in den späten 1850ern ein Atelier in Neapel, wo auch viele Genreszenen entstanden, ab 1880 als Freilichtaufnahmen. Besonders bekannt wurde er mit seinen Fotografien von den Ausgrabungen in Pompei und vom Vesuvausbruch 1872.

Seine Aufnahme des Doms von Pisa mit dem schiefen Turm zeigt eine klassische Sehenswürdigkeit, die häufig fotografiert wurde – wobei die unbebaute Fläche um den Dom viele Blickwinkel auf das Motiv zulässt, was zu signifikanten Variationen in der jeweiligen Bildauffassung führt. Sommers Komposition zeichnet sich durch die Verbindung der beiden Baukörper zu einer kompakten Form aus, in der orthogonale Linien betont werden. Durch ein starkes Hell-Dunkel, das Sommer mithilfe dunkelvioletter Tönung des Prints erreichte, wird die Oberfläche der Architektur spannungsreich akzentuiert.

Die verschiedenen Beschriftungen geben Hinweise auf Sommers professionelle Vertriebsstrukturen: Zunächst zeugt die ins Glasnegativ einmontierte Etikette, die in weißer Schrift auf schwarzes Papier gedruckt war und am Positiv links unten zu sehen ist, von einem gewerbsmäßigen Negativarchiv. Dieses führte ein Mitarbeiter in der Hauptstadt mit ihrem großen Absatzmarkt nicht nur unter den Touristen, sondern auch unter den hier tätigen internationalen Künstlerkreisen. Der Blindstempel am Karton rechts unten gibt Aufschluss über Sommers Standorte in Neapel (und damit auch ein Indiz zur Datierung des Abzugs): An der angeführten Adresse Monte di Dio 4 betrieb er zwischen 1860 und 1886 sein Studio und im Magazzino S. Caterina 5 ein Lager. Ein weiterer Stempel mittig am Karton verweist auf den deutschen Händler J. Brecker in Florenz, bei dem Sommer ein ständiges Depot unterhielt.

Die handschriftliche Betitelung in Bleistift legt schließlich nahe, dass der Abzug von einem Kunden aus dem deutschsprachigen Raum erworben wurde. Hier war Italien als relativ nahe liegendes Reiseziel besonders beliebt. In der Verbindung von kultureller Bildung, Erholung in südlichem Klima sowie persönlicher Selbstfindung konnten Erfahrungen gemacht werden, wie sie in Johann Wolfgang von Goethes Schriften paradigmatisch beschrieben sind.

Lit.: Giorgio Sommer in Italien. Fotografien 1857–1888, hg. v. Marina Miraglia, Pino Piantanida, Ulrich Pohlmann, Dietmar Siegert, Kat. Stadtmuseum München 1992; Giorgio Sommer (1834–1914). Photographien aus Italien, Kat. Neue Galerie der Stadt Linz 1985, S. 40.