Fotograf der K.K. Hof- und Staatsdruckerei, Befestigungswall mit Rotenturmtor und Gonzagabastei, Wien, März 1858

Artikel zur Online-Präsentation der Fotosammlung WestLicht, veröffentlicht 2011 (seit der Reorganisation und Umbenennung in Fotosammlung OstLicht 2015 abrufbar unter www.ostlicht.org/sammlung/highlights)

FOTOGRAF DER K.K. HOF- UND STAATSDRUCKEREI, Befestigungswall mit Rotenturmtor und Gonzagabastei, Wien, März 1858. Salzpapierprint vom Glasnegativ, 37 x 50,7 cm. Im Bild rechts unten ovaler Blindstempel. Courtesy: Fotosammlung OstLicht, Inv. 85-01973

Ursprünglich zur Herstellung von Banknoten, Formularen und Gesetzestexten gegründet, entwickelte sich die k.k. Hof- und Staatsdruckerei in Wien unter der ehrgeizigen Leitung von Alois Auer Ritter von Welsbach (1813–1869) ab den 1840ern zu einem ›Polygraphischen Institut‹. Dieses vereinte zeitgemäße verlegerische, typo- und druckgrafische Kompetenzen, betrieb Forschung und vertrieb eine breite Produktpalette. Der Fotografie wurde gegen 1850 eine eigene Abteilung eingerichtet. Paul Pretsch, Franz Mai, Leopold Weiß, Georg Hackel, C. Matuschka oder Joseph Puchberger arbeiteten hier mit verschiedenen Kasten- und einer Panoramakamera, und widmeten sich auch der Mikrofotografie; individualisierte Nachweise der Bildautoren finden sich allerdings kaum auf den Abzügen. Diese wurden bereits 1851 anlässlich der Londoner Weltausstellung mit Preisen ausgezeichnet, wobei besonders die großen Formate Anklang fanden.

Ab März 1958 dokumentierte man den Abbruch der barocken Befestigungsanlage in Wien. Der breite Wall mit acht Toren und zehn Basteien war im 19. Jahrhundert nicht mehr von militärischer Relevanz, sondern als Promenade beliebt. Nach der Abtragung entstanden an seiner Stelle die Ringstraße und deren Prachtbauten. Die vorliegende Aufnahme zeigt jenen Wall-Bereich, der wenig später zum Franz-Josefs-Kai wurde. Im Vordergrund verläuft vom Rotenturmtor die Straße nach rechts, zur außerhalb des Bildausschnitts liegenden Ferdinandbrücke. Bild einwärts erstrecken sich hintereinander Gonzaga- und Elendsbastei. Am Horizont entdeckt man links Maria am Gestade, rechts Neubauten am heutigen Schottenring. Der panoramatische Blickwinkel wurde durch einen hohen Kamerastandpunkt von der nahegelegenen Kaserne aus möglich. In ihm manifestiert sich beispielhaft der von Auer formulierte Anspruch einer fotografischen Aneignung von Welt.

Auf dem vordersten Wall-Teil steht ein Polizist, davor ein Arbeiter mit einigen Brettern – hier entsteht eben eine Absperrung, denn der Beginn der Abrissarbeiten steht bevor. Bei dem prägnanten Haus neben dem Wall, dessen Sonnen-beschienene Schmalseite bildparallel ausgerichtet ist, handelt es sich um das ›Müllersche Gebäude‹ (1889 demoliert). Es beheimatete das Kunstkabinett des Grafen Deym mit Nachbildungen antiker Skulpturen, lebensechten Wachsfiguren sowie Musik-Automaten. Die Präsentation der Exponate in üppigem Ambiente fand großen Zulauf, die Repliken konnten auch erworben werden. Damit erfüllte diese Institution ein Ideal, das der Vision Auers von der k.k. Hof- und Staatsdruckerei als Medienkonzern nicht unähnlich ist: die Verbindung von Unterhaltung, Bildung und Produktwerbung. Mediengeschichtlich gesehen waren derlei Kabinette und ihre Schauwerte jedoch bald obsolet, während der Höhepunkt der Verbreitung von fotografischen Bildern noch bevorstand.

Lit.: Monika Faber, Maren Gröning, Stadtpanoramen. Fotografien der k.k. Hof- und Staatsdruckerei 1850–1860, Wien 2005, S. 81. Gabriele Hatwanger, Die „Scheinkunstsammlung“ des Grafen Deym, Diplomarbeit in Geschichte, Wien 2008, S. 122; Harald Stühlinger, Die Fotografien der k.k. Hof- und Staatsdruckerei von der Stadtmauer von Wien, Diplomarbeit in Kunstgeschichte, Wien 2007; Helfried Seemann, Christian Lunzer (Hg.): Wien, Innere Stadt 1850–1860. Stadtmauern, Tore, Basteien in zeitgenössischen Photographien, ALBUM-Verlag für Photografie, Wien 1995, Abb. 36 (Ausschnitt; sowie zwei weitere Aufnahmen vom selben Standort, die den Abbaufortschritt zeigen).