Wiener digitale Fotoarchive. Vergleich der Erschließungsmethoden an der ÖNB und der Albertina Wien unter sammlungspolitischen Gesichtspunkten

Publiziert in: Rundbrief Fotografie, Vol. 16/2009, Nr. 1 (N.F. 61), Stuttgart, S. 19–24; Resümee eines Forschungsprojekts an der Donau-Universität Krems im Rahmen des Lehrgangs ›Digitales Sammlungsmanagement‹ unter der Leitung von Prof. Dr. Harald Krämer


1. Problemsetting

Das Projekt stellte sich die Aufgabe, digitale Archive fotografischer Bestände an Wiener Institutionen aus der externen Benutzerperspektive zu vergleichen. Untersucht wurden die Strukturen, Kategorisierungen und Beschlagwortungsmethoden, wie sie sich in den Objektdatensätzen bzw. Dateneingabefeldern, Suchmasken und Ausgabeformularen der jeweiligen Datenbank-Managementsysteme manifestieren. Dieser Aufsatz diskutiert sammlungspolitisch relevante Parameter anhand von Recherchen an der Österreichischen Nationalbibliothek (Bildarchiv Austria) und an der Fotosammlung Albertina.

Die Entscheidungen einer Institution für eine spezifische Katalogisierungspraxis zur digitalen Erschließung und Verwaltung ihres Bildarchivs hängen immer mit den jeweiligen Sammlungsschwerpunkten und Nutzungszielen zusammen. Gleichwohl schlagen sich diese Faktoren auch in Datenbankstrukturen nieder, die ohne vorhergehende Ist-Analyse, Soll-Konzeption oder Pflichtenhefterstellung gewachsen sind.1 Den sammlungspolitischen und -historischen Bedingungen liegen ihrerseits wiederum Bewertungen der Fotografie zugrunde, also ideelle wie ökonomische Bedeutungszuweisungen.2 Gerade die Fotografie erfährt als museales Objekt, als historisches Dokumentationsmedium, als wissenschaftlicher Forschungsgegenstand, als Ware am Kunstmarkt und im Bereich kommerzieller Bildvermarktung in den letzten Jahrzehnten eine massive Umwertung.3 Daraus ergibt sich die Frage, welche längerfristigen Auswirkungen diese unterschiedlichen Verwertungszusammenhänge oder bildpolitischen Rollen, in denen Fotografie eingesetzt wird, auf die Sammlungspolitik der verschiedenen Bildarchivierungsinstitutionen haben werden. In jüngerer Zeit, in der sich die technologischen Möglichkeiten digitaler Bilderadministration rapide entwickeln, verändern sich jedenfalls auch institutionelle und operationale Modelle der Bewahrung, Erschließung und Distribution digitaler Bilddaten.4

Im Zuge des Projekts wurde versucht, den allgemeinen Befund der angesprochenen Bedeutungszuschreibungs- und Wertungsprozesse anhand einiger konkreter ›Symptome‹ in digitalen Wiener Fotoarchiven nachzuweisen. So wurde etwa die Aufmerksamkeit darauf gerichtet, welche Erschließungsmethoden welche Bildqualitäten in den Vordergrund stellen und welche Suchabfragen sie begünstigen. Es stellte sich auch die Frage, ob die ökonomische Wertsteigerung von Sammlungsobjekten (die auch im Zusammenhang mit ihrer wissenschaftlichen Aufarbeitung steht) in den digitalen Katalogen Spuren hinterlässt. Weiters, wie die Instrumente digitaler Inventarisierung und Erschließung bzw. deren Anwender die steigende Bedeutung von Autorschaft für fotografische Bilder berücksichtigen; oder, ob bzw. wie sich ein zunehmendes Detailwissen über historische Fototechniken in den digitalen Katalogen niederschlägt.
 

2. Untersuchungsansatz

Diese Untersuchung versteht sich als Pilotprojekt zur Entwicklung geeigneter Parameter für den Vergleich von digitalen Katalogen an Fotosammlungen. Als primäre Untersuchungsfelder dienten zwei repräsentative Institutionen, die sich in ihrer Sammlungspolitik deutlich unterscheiden, wenngleich es Schnittmengen in der Art ihrer Bestände gibt: die Fotosammlung Albertina und das Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek.5

Die Recherchen an den Institutionen wurden nach einem gleichbleibenden Schema abgewickelt: Nach der Erhebung von Sammlungsgeschichte, -struktur und -politik wurden die angewandten Inventarisierungs- bzw. Erschließungsmethoden in Interviews in Erfahrung gebracht und schließlich gezielte Abfragen in den allgemein zugänglichen Datenbanken angestellt. Dabei wurde nach einem bestimmten Sujet gesucht, wobei vor allem Datenfelder genutzt wurden, die Bildinhalte sprachlich wiedergeben, also dargestellte Gegenstände und Bildmotive in Textform beschreiben oder über Begriffe verschlagworten.

Der Rechercheansatz einer Suche nach einem bestimmten Bildinhalt, -sujet bzw. -thema hat ursächlich mit der Spezifik der Fotografie zu tun – als einem Medium, das wie kein anderes in vielfältigen gesellschaftlichen Feldern kursiert, wobei der Zugang über den Bildinhalt gewissermaßen den größten gemeinsamen Nenner darstellt, der für alle Verwertungszusammenhänge fotografischer Bilder (wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß) Bedeutung hat. Das gesuchte Sujet sollte möglichst spezifisch sein, um relativ rasch ähnliche Bilder finden zu können. Daher wurde ein signifikantes ›Ikon‹ gewählt, ein Wiener Wahrzeichen: der Stephansdom, der die Folie für wichtige historische Ereignisse bildete und seit langem ein beliebtes Motiv ambitionierter Architekturfotografie sowie vieler Touristen, Fotokünstler und Reportagefotografen darstellt.
 

3. Rechercheergebnisse

Bereits bei einer ersten Erhebung von Voraussetzungen und Methoden der digitalen Fotobestandsinventarisierung an verschiedenen Institutionen zeigte sich, dass sich diese Bedingungen in einem Entwicklungsprozess befinden, der nach seinen Anfängen vor einigen Jahren vielerorts an einem Punkt der Reflexion oder Revision angelangt ist. Nach ersten Projektfinanzierungen steht die Digitalisierung umfangreicher Bestandsteile noch aus oder es wird nach verbesserten Methoden und Instrumenten der digitalen Sammlungserschließung bzw. -verwaltung gesucht.6 Daher dokumentiert diese Untersuchung nicht nur einen Ist-Zustand, sondern (implizit) auch vergangene und zukünftige Lösungen der EDV-gestützten Katalogisierung von Fotoobjekten. Unabhängig davon liegen die Objekte von Sammlungen niemals alle gleichzeitig in derselben Erschließungstiefe bearbeitet vor. Asynchronizität als Konstitution eines Rahmens, innerhalb dessen Daten, die dem Zeit- und Raumkontinuum der Erfahrungswelt entrissen wurden und als ›Erinnerungsspeicher‹ bewahrt werden, liegt also (in mehrerlei Hinsicht) im Wesen des Archivs – genauso, wie sie als eines der zentralen Paradigmen des Fotografischen gelten darf: ›Museen, Archive und neue Speichertechnologien, das meint insbesondere die Fotografie, treten nicht nur historisch gleichzeitig auf den Plan. Sie bedingen einander und funktionieren nach ähnlichen Prinzipien‹.7

Die Unterschiede der beiden Institutionen hinsichtlich ihrer Sammlungspolitik und Erschließungsziele zeigten sich deutlich an ihren digitalen Katalogen bzw. Internet-Bilddatenbanken. Eine tabellarische Zusammenstellung anhand der wichtigsten Vergleichsparameter zeigt einen Auszug aus dem Recherchematerialien des Berichts, in dem Interviews und konkreten Abfrageprozedere dokumentiert und bewertet wurden (die Angaben in der Tabelle betreffen jeweils nur den fotografischen Sammlungsbestand).

Diese Dokumentationen wurden an den Institutionen sehr positiv aufgenommen und auch zur Anregung für Verbesserungen oder programmtechnische Fehlerbehebungen genommen.8 Da viele Details der Rechercheergebnisse nur im operativen Handling an den Online-Bilddatenbanken oder anhand zahlreicher Screenshots und Trefferlisten nachvollziehbar sind, seien an dieser Stelle vier wesentliche Punkte herausgegriffen, die sich auch ohne Abbildung referieren lassen.9
 

3.1. Vergleich: Erschließungsschwerpunkt

Ihrem musealen und wissenschaftlichen Auftrag entsprechend, bietet die Fotosammlung der Albertina detaillierte Informationen über den historischen Kontext ihrer Objekte. Signifikant ist die Fülle von Datenfeldern in der Einzelobjekt-Ansicht der Online-Bilddatenbank, wobei Benutzern im Wesentlichen nur rechtliche bzw. administrative Objektdaten vorenthalten bleiben. Praktisch alle verfügbaren Fotografien sind datiert, zugeschrieben, mit rückseitigen Beschriftungen erfasst und die fototechnischen Verfahren exakt bestimmt. Zusätzlich sind die Bildautoren mit Timm Starls Biobibliografie mit Daten zu Fotopublikationen von 1839 bis 1945 verlinkt, der wohl profundesten Online-Quellensammlung für einschlägige Forschung im deutschsprachigen Raum [http://alt.albertina.at/d/fotobibl/einstieg.html]. Die Erschließung der Bildinhalte spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle: Es gibt kein Datenfeld zur Beschreibung und der Titeleintrag gibt meist nur kurze Angaben zum dargestellten Motiv.

Die Online-Plattform ›Bildarchiv Austria‹ verschafft ihren Benutzern Zugang zu einem umfangreichen und beständig anwachsenden Bestand historischer Fotografie aus den Sammlungen der ÖNB sowie von drei kooperierenden Institutionen und ermöglicht zudem eine unkomplizierte Bestellung von kostenpflichtigen Downloads bzw. Reproduktionen. In der Objekt-Dokumentation manifestiert sich deutlich der Vermittlungsauftrag der ÖNB als Nationalarchiv und zentrale Dokumentationsstelle der Geschichte und Topografie des Landes. Der Schwerpunkt der Objekt-Erschließung liegt auf den Bildinhalten: Jedes Objekt wird in den Feldern ›Titel‹ und ›Beschreibung‹ durch relativ umfangreiche Textangaben erfasst; darüber hinaus sind die Bildinhalte mehrfach verschlagwortet. Dagegen fehlen in den entsprechenden Datenfeldern häufig Einträge zu Technik, Datierung und Zuschreibung der Objekte.

TABELLE 1: Sammlungsprofile der Fotosammlung an der Albertina und des Bildarchiv Austria an der ÖNB Wien
 

3.2. Vergleich: Abfragemodalitäten

Zur Nutzung der Eingabefelder der erweiterten Suche in der Online-Bilddatenbank der Fotosammlung Albertina10 sind fotogeschichtliche Vorkenntnisse bzw. spezifische Abfragekriterien notwendig – am naheliegendsten ist zunächst die Auswahl eines Bildautors aus der Namensliste im Kontextmenü. Für bildinhaltsorientierte Abfragen ist also im Grunde die Schnellsuche ausreichend – sie ergab bei einer Suche nach ›Stephansdom‹ (der nur in dieser Schreibweise in der Datenbank vorkommt) dieselben Treffer wie bei einer Suche im Titelfeld in der erweiterten Suchmaske. Ein Problem liegt darin, dass die Texteingabe im Titelfeld nicht alles Dargestellte umfasst, während die Schnellsuche keine Trunkierung erlaubt. Es muss also im Titelfeld nach ›Stephan*‹ gesucht werden, um auch ein Objekt angezeigt zu bekommen, das zwar den Stephansplatz mit Stephansdom zeigt, aber nur ersteren im Titel nennt, weshalb es bei einer Schnellsuche nach ›Stephansdom‹ natürlich nicht aufgerufen wird.

Die erweiterte Suchmaske im Bildarchiv Austria11 umfasst in etwa ebenso viele Eingabefelder, wobei hier aber auch das Volltextsuchfeld (›Suchbegriff‹) mit den übrigen Kriterien kombiniert werden kann. Es gibt viele Eingabehilfen in Form von Auswahllisten bzw. Schlagwortkatalogen, die über Look-up-Buttons und Drop-down-Menüs aufgerufen werden können. Bildinhalte sind hier über vier verschiedene Kategorien anhand von Begriffskatalogen beschlagwortet: Person, Schlagwort, thematische Klassifizierung, Ereignis. Die Schnellsuche nach dem Suchbegriff ›Stephansdom‹ ergab 220 Treffer, wo aber jene Objekte nicht darunter waren, in deren Datensätzen das gewünschte Sujet in anderen Schreibweisen (z.B. St. Stefan) genannt ist. Es ist nicht möglich, sich die Abfrageergebnisse – etwa nach Datierung oder Bildautor – geordnet anzeigen zu lassen.
 

3.3. Vergleich: Felder mit Wortlisten / Schlagwortkataloge

Der Schlagwortkatalog der Fotosammlung Albertina ist relativ schmal, er enthält ca. 90 Begriffe, die einem heterogenen Begriffsfeld angehören – dieses umfasst Bildinhalte bzw. –gattungen (z.B. Akt, Arbeitswelt), allgemeinere Themen (z.B. Archäologie, Religion), fotohistorische Begriffe und Fachtermini (z.B. frühe Blitzlichtfotografie, inszenierte Fotografie) oder fototechnische Bezeichnungen (z.B. Kamera, Phototechnisches Muster, Reproduktion). Die Auswahlliste zum Feld ›Name‹ enthält 130 Einträge, zum überwiegenden Teil sind dies Fotobildautoren neben einigen Körperschaften (z.B. Königlich preußische Messbildanstalt).

Im Vergleich dazu ist der Schlagwortkatalog am Bildarchiv Austria deutlich umfangreicher (ca. 350 Optionen) und vom Begriffsfeld her homogener: In ihm finden sich im wesentlichen Begriffe, die Bildinhalte als Bildgegenstände beschreiben (z.B. Armut, Bürgermeister); zusätzlich gibt es noch eine Themenklassifikation (10 Optionen), einen Ereigniskatalog (ca. 200 Optionen) und einen Katalog dargestellter Personen – allerdings sind bei letzterem auch die Bildautoren bzw. alle im Zusammenhang mit fotografischen Objekten relevanten Personen inkludiert (also z.B. auch Albrecht Dürer, wenn ein Fotograf ein Dürer-Bild fotografiert hat, zusätzlich zur Person, die Dürer eventuell porträtiert hat), was zu einer unhandlichen Liste mit ca. 1000 Optionen führt.
 

3.4. Probleme: Vokabular, Thesauri

Anhand der Untersuchung der Erschließungsmethoden von Bildinhalt und fotografischer Technik zeigten sich auch allgemeinere Sprachprobleme in digitalen Bildarchiven. So wurde die Erschließung des Bildinhaltes als Problem der Katalogisierung von fotografischen Objekten besonders deutlich. Im Interview äußerte sich Peter Prokop vom Bildarchiv an der Österreichischen Nationalbibliothek dazu folgendermaßen: ›Unterschiedliche Vokabulare der Beschreibung und die unterschiedliche Kategorisierung der Objekte durch die jeweiligen Bearbeiter führen selbst unter Verwendung normierter Begriffe zu inhaltlichen Inkonsistenzen.‹ Für das hier gewählte Suchszenario gäbe es eine Lösung, die in den Datensatzstrukturen von beiden untersuchten Institutionen angelegt ist, allerdings in der Praxis nicht wirklich genutzt (d.h. nicht systematisch befüllt) wird, und zwar das Feld ›Dargestellter Ort‹; hier könnte aber nur ein kontrolliertes Vokabular zu eindeutigen Abfrageergebnissen führen, also wenn sowohl bei der Dateneingabe als auch bei der Auswahl der Suchkriterien eine vorgegebene Option – etwa ›Österreich, Wien, Stephansdom‹ – als Eintrag aus einer Liste übernommen würde, was außerdem bereits die Eingabe erleichtern würde. Eine andere Möglichkeit bildinhaltlicher Erschließung, die in den beiden untersuchten Wiener Fotokatalogen keine Anwendung findet, ist die Klassifikation nach einem standardisierten System, wie etwa das Marburger Inventarisierungs-, Dokumentations- und Administrationssystem ›MIDAS‹.12

Eine ähnliche Problematik betrifft die Dokumentation der fotografischen Verfahren, die meist unter dem Datenfeldnamen ›Technik/Bildträger‹ erfasst werden. Dies ist jenes Feld, in dem ein Thesaurus die größten Vorteile brächte. Abhängig vom Erschließungsauftrag einer Institution gibt es natürlich Unterschiede darin, wie konsequent technische Angaben bestimmt und dokumentiert werden können. Jedenfalls fanden sich in beiden Datenbanksystemen überaus viele Angaben zur Technik, wobei redundante Einträge bzw. inkonsequente Schreibweisen und Begriffsstrukturen gezielte Abfragen mitunter sehr erschweren. Dass ein derartiger Thesaurus in beiden Institutionen nicht eingesetzt wird, wird u.a. damit erklärt, dass der ›ATT Photography and Photographic Processes and Techniques‹ (der etwa 140 Begriffe enthält) noch nicht übersetzt ist bzw. kein ausreichend umfassender und spezifischer Thesaurus für den deutschsprachigen Raum vorliegt.

TABELLE 2: Typologische Gegenüberstellung von digitalen Fotosammlungsmodellen
 

4. Schlussfolgerungen

Um einzelne Fotosammlungstypen in Bezug auf die hier relevanten Fragen zu unterscheiden – auch wenn diese in der Praxis nicht so deutlich ein- bzw. abgrenzbar sind – werden sie in Tabelle 2 modellhaft gegenübergestellt:

Bei einer musealen Sammlung liegt der Fokus auf (potenziell) zuschreib- und datierbaren, fotografischen Werken. Dies manifestiert sich in einer Vielzahl von Datenfeldern, etwa für autorenspezifische Informationen: Künstler, Nation/Geografie (Lebensraum des Autors), Stempel und Beschriftung (Signatur des Autors, d.h. historischer Autorennachweis), weiterführende Links (spezifische Datensammlungen, Bibliografien). Für bestimmte Felder eignen sich hier besonders Thesauri bzw. Normdateien, etwa TGN (Thesaurus Geographic Names) oder PND (Personennormdatei) zur kontrollierten Eingabe von Orts- oder Personendaten sowie Thesauri für fotografische Techniken – das profunde Fachwissen, das bei der Objektdokumentation an musealen Sammlungen Anwendung findet, wird jedenfalls durch die Erstellung bzw. Überarbeitung eines Thesaurus gebündelt. Das solcherart systematisierte Wissen ist in Folge nicht nur sammlungsintern effizienter umsetzbar, sondern schafft auch eine Basis für Vernetzung von Bildkatalogen mehrerer Institutionen (dieser Gedanke liegt auch dem Konzept der ikonografischen Klassifikation, etwa nach MIDAS, zugrunde).

Bei einem Dokumentationsarchiv liegt der Fokus stärker auf den Bildinhalten bzw. den dokumentierten Orten, Objekten, Personen und Ereignissen. Dieser Erschließungsschwerpunkt zeichnet sich in vielen Wortlisten ab, die natürlich thematisch stark von der jeweiligen Ausrichtung der Sammlung abhängen; ebenso wie die Erschließungstiefe in der Objektdokumentation, wobei sich gegebenenfalls Klassifikationssysteme bzw. Thesauri in obigem Sinne anbieten. Das Pendant zu den ersten beiden Typen wäre eine Bildagentur, die Fotografien nach marktwirtschaftlichen Kriterien sammelt, wobei der ursprüngliche Entstehungszusammenhang nur noch eine juristische Rolle im Zusammenhang mit Verwertungsrechten spielt (z.B. Corbis). Da die Bilder im äußersten Fall möglichst für jeden Kontext verfügbar gemacht werden sollen, sind kontrolliertes Fachvokabular oder komplexe Datenfeldstrukturen zur Objektdokumentation überflüssig, die Archivierungs- bzw. Auswahlkriterien werden durch die Nachfrage bestimmt und z.B. über einen ›offenen‹ thematischen Schlagwortkatalog realisiert.

Auf der Basis dieser typologischen Überlegungen kristallisieren sich zwei Kriterien heraus, die jeden sammlungspolitischen Typus hinsichtlich seiner Inventarisierungsmethoden prägen: einerseits die angestrebte Erschließungstiefe in der Objektdokumentation und andererseits ein (oft auch kommerzieller) Anspruch, der auf die Verfügbarmachung der Bilder für möglichst viele Benutzer zielt, was man auch mit Erschließungsbreite bezeichnen könnte. Die graduellen Unterschiede in der konkreten Umsetzung dieser sammlungspolitisch relevanten Aspekte schlagen sich dann in spezifischen Datenfeldstrukturen und Benutzer- bzw. Kundenzielgruppen einer Institution nieder. Ein Diagramm soll die skizzierten Zusammenhänge illustrieren, indem ein ›Nullpunkt der Objektdokumentation und -veröffentlichung‹ den Ursprung bildet, während Erschließungstiefe und -breite als Koordinatenachsen fungieren:

TABELLE 3: Diagramm zur Veranschaulichung des Zusammenhangs von Erschließung und Sammlungstyp

Die maximale Ausprägung von Erschließungstiefe wäre eine weitest gehende Dokumentation von Entstehungskontext und späteren Verwendungszusammenhängen des Objektes; die maximale Ausprägung in der Erschließungsbreite wäre die weitest gehende Verfügbarmachung eines Objektes für jeden denkbaren Kontext. Im großen Feld zwischen den Koordinatenachsen und den einzelnen Stufen der Umsetzung von Objekterschließung und -veröffentlichung lassen sich dann spezifische Sammlungs- bzw. Erschließungspolitiken anordnen, z.B. wäre die oben angesprochene Bildagentur irgendwo vor den Massenmedien angesiedelt und in geringer Erschließungstiefe, d.h. relativ weit oben im Feld, zirka bei Beschreibung des Bildinhaltes. Noch weiter oben stünden beispielsweise Internet-Fotoplattformen, wo die eingespielten Bilder meistens zur Weiterverwendung freigegeben sind und von den Benutzern selbst kategorisiert werden (sog. kollaborierte Klassifikation durch Tagging). Ein ›Maximum der Objekterschließungstiefe‹ im Sinne einer vollständig erschlossenen oder erforschten Fotografie gibt es natürlich realiter nicht. Da die Fragestellungen an das Objekt und die Relevanz dokumentierter Daten von wissenschaftlichen Paradigmen abhängen, müsste man das Diagramm an dieser Stelle noch mehrfach auffächern, um diese verschiedenen Ebenen von Erschließungstiefe aufzuzeigen: Neben der Orientierung am Werkcharakter klassischer Kunst, wo der Bildautor im Vordergrund steht, über die erwähnten Dokumentationsarchive mit spezifischen bildinhaltlichen Interessen gäbe es auch noch andere Möglichkeiten.13

Wobei die abschließende Bemerkung erlaubt sei, dass prominente Autorschaft jedenfalls der gewinnbringendste wertsteigernde Faktor für Fotografie ist – denn keine Aufnahme eines noch so bedeutenden historischen Ereignisses wird jemals so teuer gehandelt werden, wie etwa eine Fotografie von Andreas Gursky, die Supermarktregale mit gestapelten Sonderangeboten zeigt (›99 cent‹, 2001 für 2,5 Millionen Dollar verkauft). Dies führt letztlich dazu, dass auch an Dokumentationsarchiven und Bildagenturen die Aufmerksamkeit für die Autorschaft fotografischer Bilder steigt; wobei in diesem Sinne auch ein Sammler mit seiner individuellen Auffassung von Fotografie und archivarischer Ordnung als bedeutungsstiftender Autor – und damit auch wertsteigernder Faktor – gesehen werden kann.

1  Zu den Entscheidungsfaktoren auf Basis einer Strukturanalyse zur Konzeption bzw. institutionsspezifischen Anpassung eines Collection Management Systems siehe Harald Krämer, Museumsinformatik und Digitale Sammlung, Wien 2001, S. 29ff. und 55–123.

2  Uwe Schlögl, Repräsentation – Gedächtnis, in: Im Blickpunkt. Die Fotosammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Innsbruck 2002, S. 9: ›Sammlungen und Archive sind immer zugleich Orte des Gedächtnisses, getragen von den Medien der Speicherung und den Verfahren der Archivierung und Aktualisierung. Das Archiv als kulturelles Gedächtnis artikuliert sich zugleich und permanent durch seine Teilnahme an kommunikativen Prozessen (...), [es agiert] als Zwischenspeicher der Erinnerung. Aus dieser Perspektive erweist es sich als Sammelpunkt eines kollektiven Werte- und Normensystems, das seine Stabilität durch die Festigung der kulturellen Identität erhält.‹

3  Dazu siehe Douglas Crimp, Das alte Subjekt des Museums, das neue der Bibliothek, in: Ders., Über die Ruinen des Museums, Dresden/Basel 1996, S. 83–99; Klaus Graf, Reproduktionen historischer Fotos – Kulturgut, keine Ware!, in: Rundbrief Fotografie, N.F. 2, 1994, S. 17–21; Harald Krämer, Der ungeschliffene Diamant. Das Nationalmuseum für Photographie in Kopenhagen, in: Eikon, 1998/99, H. 26/27, S. 86–88.

4  Es wäre etwa dem prägenden Einfluss bestimmter technologischer Paradigmen nachzugehen, die von Datenbank- und Bildbearbeitungssoftware oder Scan- und Abfragetechnologie (z.B. content based image retrieval) – bzw. deren Entwicklern – vorgegeben werden. Dieser Blickwinkel auf den Zusammenhang von Sammlungspolitik, digitalen Archivierungsmethoden und technologischer Entwicklung kann hier aber nicht weiterverfolgt werden.

5  Es gibt freilich noch etliche weitere Institutionen mit digitalen Fotoarchiven in Wien, wo man diese Untersuchung weiterführen könnte: Fotosammlung des Stadt- und Landesarchivs, Fotoarchiv des Technischen Museums, Fotobestände an verschiedenen Abteilungen des Wien Museums, des Volkskundemuseums, div. Bildagenturen (imagno), Fotosammlung des Vereins für Geschichte der Arbeiterbewegung, Fotoarchiv der Wiener Volkshochschulen, etc.

6  So laufen etwa im Wien Museum am Karlsplatz mit seinen umfangreichen historischen Fotobeständen (etwa von August Stauda) eben die Vorbereitungen für ein groß angelegtes Digitalisierungsprojekt, im Zuge dessen auch ein neues Datenbankmanagementsystem eingeführt wird.

7  Herta Wolf, Das Denkmälerarchiv Fotografie, in: Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters, hg. von Herta Wolf, Frankfurt a.M. 2002, S. 349.

8  In einzelnen Details entspricht die Recherchedokumentation, die im Herbst 2008 erstellt wurde, nicht mehr dem aktuellen Status Quo. So befindet sich etwa die Bilddatenbank der Albertina derzeit in Umgestaltung (die Funktionalität ist davon nicht betroffen); im Bildarchiv Austria wurden seit den dokumentierten Abfragen weitere Objekte online gestellt, d.h. die Trefferanzahl differiert geringfügig von den im Herbst erhobenen Daten, und die Einträge mancher Auswahllisten in den Kontextmenüs der Suchmasken verändert.

9  Die komplette illustrierte Projektdokumentation im Umfang von ca. 60 Druckseiten wird auf Anfrage als pdf zur Verfügung gestellt, allerdings nur bis zum Mai 2009 (danach wird an einer aktualisierten und ergänzten Neufassung gearbeitet).

10  Über die Albertina-Website gelangt man zur Bilddatenbank des Museums, wo die verschiedenen Sammlungsbestände vorgestellt werden und sich das Eingabefeld für eine Volltext-Schnellsuche in allen Abteilungen findet: http://gallery.albertina.at/eMuseum/code/emuseum.asp Der Pfad zur Einstiegsseite für erweiterte Suchanfragen in der Albertina Fotosammlung ist relativ umständlich: http://gallery.albertina.at/eMuseum/code/emuseum.asp?style=browse¤trecord=1&newprofile=objects&newpage=search_basic&newvalues=1

11  Von der Homepage des Bildarchivs http://www.onb.ac.at/sammlungen/bildarchiv.htm gelangt man über den Link ›Bestandsrecherche‹ zur Seite ›Bilddatenbank Bildarchiv Austria‹, wo über Reiter die verschiedenen Suchmasken aufgerufen werden können: http://www.onb.ac.at/sammlungen/bildarchiv/bildarchiv_bestandsrecherche.htm

12  Dazu siehe Fritz Laupichler, MIDAS, HIDA, DISKUS – was ist das? In: Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken/AKMB-News, 4/1998, Heft 2/3, S. 18–24. Download unter http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/6198

13  Dazu siehe Andreas Krase, ›Sowohl Dokumentation als auch Kunst‹. Zur Umbewertung fotografischer Sammlungsbestände, In: Rundbrief Fotografie, Sonderheft 6: Verwandlungen durch Licht. Fotografieren in Museen, Archiven und Bibliotheken, 2001, S. 107–120.