Kontextualisierte Foto-Text-Konfigurationen. Michael Ponstingls ›Wien im Bild. Fotobildbände des 20. Jahrhunderts‹

Rezension der Neuerscheinung im Verlag Christian Brandstätter, Wien 2008. Publiziert in: Camera Austria 105/2009, Graz, S. 81f.

MICHAEL PONSTINGL: WIEN IM BILD. Fotobildbände des 20. Jahrhunderts, hg. von Monika Faber, Fotosammlung Albertina, Wien: Christian Brandstätter Verlag 2008 (Deutsch; Softcover 21 x 21,5 cm, 204 Seiten, zahlr. Abb., ISBN 978-3-902510-94-5)

Dass massenmediale Printpublikationen (Bildbände, illustrierte Zeitschriften, Plakate, Postkarten, etc.) die wichtigste Verbreitungsform fotografischer Bilder im 20. Jahrhundert waren, ist eine Tatsache, die, gleichwohl bekannt, in der allgemeinen Wahrnehmung häufig in den Hintergrund tritt – etwa indem Fotografie dieser Epoche in Ausstellungen oder auf Kunstmessen bevorzugt als isolierter Vintage-Print vermittelt und gehandelt wird. Auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gibt es erst in jüngerer Zeit vermehrt Forschungsansätze, die der spezifischen Kontextualität der Fotografie – ihrem Auftreten bzw. ihrer Verwert- und Interpretierbarkeit in vielfältigen Zusammenhängen und Erscheinungsformen – als einer ihrer paradigmatischen Eigenschaften wirklich Rechnung tragen.

Und so beginnt Michael Ponstingl, Kurator für Klassische Moderne an der Fotosammlung Albertina, sein Buch ›Wien im Bild. Fotobildbände des 20. Jahrhunderts‹ konsequenterweise mit methodischen Überlegungen, zunächst mit einer kritischen Lektüre aktueller Definitionen des Begriffs Bildband. Für Ponstingl gemischte Symbolsysteme, denen nicht mit typologischen Gattungsabgrenzungen (Album, Fotoessay, illustrierter Textband ...) beizukommen ist, da diese einem textzentrierten Verständnis des Mediums Buch, dem Fotografie untergeordnet wird, und damit letztlich einer ›antagonistische[n] Modellierung der einzelnen Künste/Medien und damit verbundene[n] Vorstellung über deren Aufgabenteilung‹ verpflichtet sind. Anhand der Schriften von W. J. T. Mitchell legt Ponstingl dar, dass eine ontologische Denkweise, wie sie historisch in Greenbergs modernistischer Idee von Medienspezifität gipfelte, ideologische Machtkämpfe verbirgt, während sie über gesellschaftliche Werte ihre soziokulturelle Wirkmächtigkeit entfaltet. So wird ein geschärfter Blick auf die Implikationen von Konzepten wie ›Foto- bzw. Künstlerbuch‹ oder den Dualismus von illustrativer versus autonomer Bildverwendung gewonnen.

Es folgt ein instruktiver Abschnitt, der Analysewerkzeug zur Verfügung stellt: Erläutert werden die verschiedenen Paratexte (Gérard Genette), die ›buchförmigen Foto-Text-Konfigurationen‹ auf materieller, ikonischer, typografischer, faktischer oder schriftlicher Ebene ihre spezifischen Bedeutungen bzw. semantischen Rahmenbedingungen geben. So steuern und interpretieren etwa Layout, Format, Titelformulierung, Einleitung oder Autornennung das Zusammenspiel von Wort und Bild. Paratexte auf der faktischen Ebene wären etwa vertragliche Vereinbarungen zwischen Herausgebern, Textautoren und Fotografen oder andere pragmatische Faktoren wie Verlags- und Vertriebsbedingungen.

Der Hauptteil beginnt mit einleitenden Worten zu jenem Thema, das die vorgestellten Bücher eint: die Metropole Wien im 20. Jahrhundert, wie sie sich in ihren kollektiven, formativen Stadtnarrativen (Musikstadt, das Rote Wien, Wien um 1900 et al.) sowie individualistischeren Mikroerzählungen in Bildbänden zeigt. Die Gruppierung orientiert sich an den bestimmenden touristischen, journalistischen, politischen, künstlerischen oder wissenschaftlichen Interessen, die sich im jeweiligen Wien-Bildband artikulieren. Aus historischer Perspektive, aber ohne den Anspruch einer paritätisch ausgewogenen Berücksichtigung allen verfügbaren Materials, erarbeitet Ponstingl im Zuge seiner Foto-Buch-Analysen eine Reihe von Detailthemen, wie etwa die Erfolgsgeschichte der frühen Fotoagentur R. Lechner, die mit ihren Ereignisreportagen seit 1889 das visuelle Gedächtnis der Monarchie monopolistisch prägte; einen Vergleich von ethnografisch bzw. sozialdokumentarisch motivierten und Milieu-Reportagen; verlags- und kommunalpolitische Hintergründe der von der Stadt Wien finanzierten Bildbände und ihrer Narrative; Analysen von Wienbänden künstlerischer Fotografie, etwa von Paul Albert Leitner und Lisl Ponger.

Während sich fotogeschichtliche Forschung im Allgemeinen häufig ohne grundlegende methodologische Vorarbeit der Aufbereitung ihrer Gegenstände widmet, versucht Ponstingl mit der Vermittlung seines Materials auch die Prozesse von Rezeption, Klassifizierung und Kontextualisierung selbst zu reflektieren. Sein Buch verbindet Diskurse der Medien- und Sozialwissenschaften mit profunder Sachkenntnis, ein umfangreicher Fußnoten- und Bibliografieapparat liefert Weiterführendes. Die Abbildungen geben einen plastischen Eindruck von den Buchobjekten, auch von deren Covers und Schutzhüllen. Zudem zeichnet sich der Text durch eine bemerkenswert variantenreiche, präzise und lesbare Sprache aus. So wird die Leserschaft in einem angenehmen Tempo durch die vielfältig beleuchtete Materie geführt (wie bei einer virtuellen Stadtbesichtigung) und mitunter auch durch etwas ungebräuchlich gewordene Vokabel ›erklecklich‹ vergnügt.