Was schweigt ≠ Was verschwiegen wird. Eine Leserichtung von Yasmina Haddads Installation ›Was schweigt‹

Textbeitrag zur Ausstellung: Yasmina Haddad. Was schweigt, Galerie Forumthing art&community, Wien, 18.4.–29.7.2008. Publiziert als Begleittext zur Installation (vor Ort aufgelegt)


1. Was wahrzunehmen ist

In zwei senkrechten Reihen sind rund 70 internationale Frauennamen in Großbuchstaben an die Galeriewand geschrieben. Unter diesen Philosophinnen und Malerinnen aus dem 15. bis ins frühere 20. Jahrhundert kenne ich nur wenige – bei umfangreicherem Fachwissen wären es wohl mehr, kaum aber alle. Häufiger fallen mir zu einzelnen Beispielen die bekannteren, männlichen Philosophen und Künstler gleichen Namens ein.

Zwischen den beiden Namenskolonnen hängen 22 kleinformatige Fotografien in einer losen orthogonalen Gruppierung, die an einen Stammbaum oder eine vergleichbare diagrammatische Ordnung denken lässt. Die Fotografien zeigen Frauenköpfe in Passepartouts mit ovalen Öffnungen und erinnern an historische Brustbildporträts – auch aufgrund ihrer bleichen, beinahe schwarzweißen Farbigkeit bzw. digitaler Bildbearbeitung (u.a. einem Solarisationsfilter). Allerdings wurden diese Frauen von hinten aufgenommen und präsentieren statt identifizierbaren Gesichtern ihre Hinterköpfe bzw. Haare und Schultern.

Darunter – etwa in Bauchhöhe – hängen zwei größere Farbfotografien nebeneinander, die mehr Aufschluss über das Aufgenommene geben: Ich erkenne eine Frau in einer Ateliersituation vor einem Gemälde, die stehend ein Kleinkind am Arm trägt bzw. auf dem Schoß vor sich stehen hat. Doch versinkt auch hier vieles hinter einem Schleier von Dunkeltonigkeit. Unmittelbar über den beiden Bildern steht eine handgeschriebene Textzeile ohne Satzzeichen an der Wand: ›ein durchsichtiges netz von intensitäten kein 10-kampf parler femme männer machen müttersprache konzentrieren denken fehlen verschwinden vergessen die trauer begehren in unserer mitte ein leerer raum und trotzdem versuchen 4 stunden am tag oder 48 stunden am stück oder immer‹.

Weiters erklingt in Abständen eine Stimme mit den Worten ›a woman has strength to wait‹ – ein Ausschnitt aus einer Tonaufnahme der Avantgardefilmerin Maya Deren (1917–1961), in der sie von geschlechtsspezifischer Zeitwahrnehmung, einer spezifischen ›time quality of women‹ spricht, die vom Warten (auf die Periode, die Geburt eines Kindes... ) gekennzeichnet ist.

YASMINA HADDAD, ›Was schweigt‹, 2008. Mixed Media Installation, Forumthing Wien
 

2. Was nicht wahrzunehmen ist

Die einzelnen bildlichen, schriftlichen und akustischen Komponenten der Installation haben – neben ihren thematischen und ästhetischen Beziehungen – eines gemeinsam: sie alle verweisen auch auf Abwesendes, Nichtgezeigtes oder Nichtausgesagtes. An den Bildern nimmt man dies auf den ersten Blick wahr, aber es trifft auch auf die sprachlichen Elemente zu.

So beziehen sich die aufgelisteten Namen zwar auf bestimmte, historische Personen, doch die bloße Namensnennung verweist weniger auf die spezifischen Leben oder Lebenswerke dieser Frauen, sondern macht eher das Fehlen solcher Informationen deutlich – die noch bis vor kurzem auch hierzulande obligatorische Übernahme des Familiennamens des Ehemannes, wodurch Generationenfolgen immer nur für Brüder, Väter, Cousins etc. ablesbar bleiben, legt sich als Bild für patriarchale Gesellschaftspolitiken vor die weiblichen Personen bzw. ihre gesellschaftliche Identität.

Im Verbund mit den schemenhaft-bleichen ›Nicht-Porträts‹ lässt sich das Vergessene/Verschwiegene jedenfalls in vergangenen Epochen ansiedeln. Für mich ist dieser erste Komplex als ein Erbe deutbar, als eine fortwirkende Vorgeschichte einer im weiteren präsentierten/erzählten Gegenwart, zu der ich die Worte von Maya Deren als verbindendes Zwischenglied höre: Nachdem für die Vergangenheit die Mechanismen der Machtverteilung (wenn auch nicht die dadurch entstandenen Verluste) abschätz- und reflektierbar scheinen, gibt es dann, plötzlich und endlich, eine Stimme – eine Frau, die gewissermaßen ihre Stimme erhebt, deren Leben und Arbeit ich einzuordnen vermag – doch spricht auch sie von unauflösbaren geschlechtsspezifischen Konstanten, die weibliche Produktivität (jedenfalls in diesem Zitat) zu allererst über ihre Reproduktivität, also ihre Mutterrolle, definieren.

Nun folgt in meiner Leserichtung das Bildpaar mit der Malerin und ihrem Kleinkind im Atelier, hinter der ein großes Gemälde mit einer gemalten Figur auszunehmen ist – doch auch bei diesem zeitgenössischen Beispiel verschwinden viele Details in der Unschärfe der Fotografie(n); die Frau ist nicht als Individuum wiedererkennbar, und eine gewisse Unordnung im Raum kann eher vermutet als betrachtet werden. So lese ich schließlich den Text über den beiden Bildern. Hier wird im Stil einer persönlichen Gedankennotiz, die auch Formulierungen aus der feministischen Literatur (Julia Kristeva) aufgreift, von vielerlei Mangel gesprochen – vom Fehlen, Verschwinden, Vergessen, Versuchen, Begehren, von Trauer, leerem Raum und Durchsichtigkeit.

In diesem zweiten Komplex der Installation, der der gegenwärtigen Situation gewidmet ist, tritt also nun ein Aspekt der Individualität bzw. Subjektivität hinzu; eine persönliche Haltung wird spürbar, die sich allerdings nicht in biografischen (oder visuell-dokumentarischen) Details eröffnet. Doch scheinen mir diese Auslassungen keine verschwiegenen Indiskretionen zu sein als vielmehr eine Methode, um das, was schweigt, auf eine abstraktere, allgemein gültigere Ebene zu heben.
 

3. Was schweigt

Schon der Titel der Installation macht mir klar, dass es Yasmina Haddad nicht in erster Linie um die schweigenden (bzw. zum Schweigen gebrachten oder zum Warten verdammten) Frauen geht, auch nicht nur darum, was von der Kunst- und Geistesgeschichte verschwiegen wird; ebenso nicht primär darum, was nachhaltig am Sprechen/Zeigen hindert – sondern vielmehr und genau im Wortsinn darum, was schweigt.

Was also hat keine Sprache, was kann nicht einfach gezeigt, gesagt, geschrieben oder gemalt werden? Auch wenn es im Überblick über die Epochen zunehmend mehr Künstlerinnen, mehr sprechende und schreibende Frauen gibt, stehen sie doch weiterhin auf einem Posten, wo das Subjekt ihrer Subjektivität unsicher, jedenfalls noch lange nicht zweifelsfrei gegeben ist. Wohl nicht zufällig endet der Titel ›Was schweigt‹ nicht mit einem Fragezeichen – und so sind es auch keine eindeutigen Antworten, die diese Arbeit von Yasmina Haddad vorgibt. Stattdessen wird vor dem Hintergrund eines Beziehungsgeflechtes aus verschiedenen historischen, psychologischen, biografischen und politischen Feldern, aus denen heraus frau schweigt – oder wenigstens zu sprechen versucht oder begehrt –, etwas in genau der Vagheit sichtbar, von der es handelt: Wenn etwa Frauen in der immer noch weitenteils bestehenden Unvereinbarkeit zwischen ihren Rollen in Beruf oder Kunstproduktion, als Beziehungspartnerin und als Mutter ihren berüchtigten Spagat vollführen, so entsteht etwas wie eine ›gefühlte Restmenge‹ an Nichterfülltem oder nicht ausreichend Erfülltem, eine vage Sehnsucht oder ein sprachloser Zweifel – vielleicht könnte man sagen: ein ›unscharfer‹ Skrupel, der über ein individualpsychologisch erklärbares Gefühl der Unzulänglichkeit hinausgeht. Denn es gibt auch oder gerade im Zeitalter der Individualisierung trotz dem Bewusstsein über gesellschaftliche Rollenkonstruktionen noch keine Sprache, die auf den vielfältigen Ebenen dieser Situation funktioniert.