Abenteuer Kunst: Arcimboldo, der Witzbold? Ein reproduziertes Missverständnis

Rezension der Neuauflage in der Reihe Abenteuer Kunst im Prestel Verlag und in der SZ-Bibliothek, Verlag der Süddeutschen Zeitung, München 2007. Vorgesehen für: 1000 und 1 Buch. Das Magazin für Kinder- und Jugendliteratur (unpubliziert)

Die interessantesten Kinderbuch-Neuerscheinungen zum Thema Kunst verfolgen zwei Wege, um bildende Kunst zu vermitteln und eine entsprechende ästhetische Betrachtung anzuregen: So versammeln Bildbände Abbildungen von gemalten Meisterwerken unter bestimmten formalen Ordnungskriterien und laden zum aufmerksamen Schauen und Herstellen von visuellen Bezügen ein; andere Beispiele erzählen spannende Geschichten, in deren Fortlauf Kunstwerke sukzessive erforscht werden (sollen).

Irgendwo dazwischen liegt die Reihe ›Abenteuer Kunst‹ des Prestel-Verlages, in der seit 1996 bereits an die 40 reich bebilderte Künstlermonografien für Kinder erschienen. Die verschiedenen AutorInnen erklären Kunst meist entlang biografischer Narrative über die Künstlerpersönlichkeit (was übrigens in der Tradition von Vasaris Vitae steht, der ältesten Beispiele für Kunstgeschichtsschreibung); im Zuge der Bildbeschreibungen werden auch realienkundliche Details und historische Hintergründe geliefert.

Der Titel der Reihe – ›Abenteuer Kunst‹ – lässt sich auch als Verweis auf die Auswahl der vorgestellten Künstler lesen: Sie repräsentieren einen relativ kleinen Ausschnitt aus dem breit gefächerten Spektrum ›der Kunst‹ mit ihren verschiedenen Gattungen, Medien und Epochen: Es überwiegen Maler jener Avantgarde-Bewegungen, die das entwickelten, was heute Klassische Moderne genannt wird: Impressionismus, Expressionismus, Symbolismus, Surrealismus und Abstraktion bis hin zu einzelnen Beispielen der Neo-Avantgarde.

Das historische Konzept von Avantgarde selbst lässt sich, etwa über seine zentralen Parameter von Originalität, Entdeckung, Novität, mit dem Begriff des Abenteuers verknüpfen. Kindliche (oder ›primitive‹) Kreativität, Spontanität und Unvoreingenommenheit dienten diesen Kunstbewegungen vielfach als ein Orientierungsmodell, um Originalität zu gewährleisten. Gleichwohl bleibt es schwierig, die (vormals) avantgardistischen bildnerischen Verfahren – wie etwa die Collage, das Spiel mit Zufall, eine ›naturferne‹ Farbwahl oder symbolistische Aufladung von Gegenständen –, die kindlichem Gestalten vermeintlich so nahe stehen, anhand historischer Kunstwerke zu erklären. Es droht sowohl auf der Textebene als auch im grafischen Design die Gefahr reißerischer Plattitüden, die die Prinzipien der vorgestellten Kunst dekontextualisieren (konkret: ihre Historizität vernachlässigen) und vorschnell vereinfachen. Dennoch – und trotz der unterschiedlichen Qualität der einzelnen Titel – bildet diese Reihe ein empfehlenswertes Kompendium zum Einstieg in die Betrachtung moderner Kunst.

Vor kurzem wurden 12 Bände in der SZ-Bibliothek wiederaufgelegt. Neben den üblichen Verdächtigen in obigem Sinne (Monet, Klimt, Chagall, Klee, Marc, van Gogh...) findet sich mit Giuseppe Arcimboldo ein einziger älterer Künstler, dessen Band mit dem Titel ›Der Apfel-Birnen-Kürbis-Mann‹ von Claudia Strand kürzlich auch bei Prestel neu aufgelegt wurde. Als Vertreter des Manierismus passt er bestens in die Kunstauffassung der Reihenkonzeption, wurde er doch im 20. Jahrhundert von den Surrealisten wiederentdeckt, die ihn mit ihrer Vorliebe für die Mehrdeutigkeit von Zeichen und Dingen vor allem für seine allegorischen Personifikationen aus Pflanzen, Felsen, Früchten oder Tieren und für seine Vexierbilder schätzten.

CLAUDIA STRAND: ARCIMBOLDO. DER APFEL-BIRNEN-KÜRBISMANN (Abenteuer Kunst Band 8), München: Verlag Süddeutsche Zeitung, 2007

Das Buch ist konsumierbar wie eine Power-Point-Präsentation: In großen Headlines und Textblöcken unterschiedlicher Typografik begleitet eine Art Impulsreferat die ganzseitigen Abbildungen. Eingangs werden die Jahreszeitenbilder vorgestellt, zunächst der ›Frühling‹ als Puzzle, in das man zoomweise eintaucht. Kurze poetische Beschreibungen dieser vier aus saisonalen Naturmaterialien zusammengesetzten Charakterköpfe wechseln mit rhetorischen Fragen und lakonischen Ausrufen. Letztere lassen den Text zu einer kurzweiligen Plauderei werden und erinnern im Tonfall an altklugen Kindermund: ›Der Winter guckt aber griesgrämig. – Aber sicher, dem ist ja auch kalt‹. Mitunter nimmt die sprachliche Annäherung an junge Leser ein Gespräch oder Nachdenken über diese Bilder wohl eher vorweg als sie dazu anregt. (Wie völlig anders funktioniert da der Band über Keith Haring, der authentische, hervorragend ausgewählte Aussprüche von Kindern über die abgebildeten Werke bereitstellt!).

Die verwunderte Frage nach diesem ›eigenwilligen Zaubermaler‹, mit der die Präsentation der Jahreszeiten schließt, wird auf der folgenden Doppelseite beantwortet, wo etwa zu lesen ist, dass er für die ›Public Relations der vergnügungssüchtigen Habsburger‹ zuständig war. Schließlich folgen weitere Gemälde in ganzseitiger Abbildung und Kurzbeschreibung: etwa ein Vexierbild, ein aus Büchern arrangierter Bibliothekar und das Bildnis Rudolf II. als Gott Vertumnus – er ist der titelgebende ›Apfel-Birnen-Kürbis-Mann‹, der auch das Cover beherrscht. Anhand der Personifikationen der vier Elemente werden die vielen, verblüffend naturgetreu gemalten Tiere sowie ihre Rollen als physiognomische Elemente benannt. Sie bilden Gesichter nicht bloß aufgrund allgemeiner formaler Ähnlichkeit zu Körperteilen, sondern verleihen diesen Büsten auch einen ganz spezifischen Ausdruck, was sogar bis zur Porträtähnlichkeit gehen kann. Zudem repräsentieren diese Köpfe als Allegorien auch Qualitäten des Habsburger Hauses – etwa militärische Stärke im Feuer-Bild. Und auf jener metaphorischen Ebene, auf der auch sprachliche Bilder angesiedelt sind, können Einzelelemente eine zusätzliche Bedeutung aufnehmen, etwa wenn eine Kerze als Auge, eine Zündschnur als Stirn oder Kirschen als Mund fungieren. Im Text ist zu lesen: ›Was für eine Manier, so zu malen! Der reinste Manierismus (...), da wollte man mit allen Regeln brechen. Arcimboldo setzte dem noch ein i-Tüpfelchen an Witz und Schalk darauf.‹

Die auffälligste Veränderung der Neuerscheinung gegenüber der Erstausgabe von 1999 ist die leider abfallende Abbildungsqualität: Die Reproduktionen der Neuauflage wirken häufig wie von gleißendem Licht ›überstrahlt‹; an den vom Maler gesetzten Glanzpunkten und Höhungen, die wesentlich zur plastisch-realistischen Wirkung seiner Gemälde betragen, reißt die Abbildung oft bis ins Weiß auf. So ist etwa der im Original kontinuierlich dunkle Hintergrund bei der Abbildung des sog. ›Apfel-Birnen-Kürbis-Manns‹ von weißen Reflexen übersät und die subtile Farbgebung Archimboldos auf eine schmale, grelle Palette reduziert. Diese Reproduktionen lassen Archimboldos gemalte Assemblagen viel flacher wirken als im Original – und nähern sie somit genau jener plakativ-witzigen Collagenhaftigkeit an, für die diese Bilder von den Surrealisten 350 Jahre später so geschätzt wurden und die diesem Künstler schließlich zu einer beispiellosen Karriere im Kunstunterricht an Kindergärten und Schulen verhalf.

CLAUDIA STRAND: ARCIMBOLDO. DER APFEL-BIRNEN-KÜRBISMANN. München/Berlin: Prestel-Verlag, 2007

Die rezeptionsgeschichtliche Blickverengung ist dem Kinderkunstbuch ›Der Apfel-Birnen-Kürbis-Mann‹ natürlich nicht anzukreiden – aber es scheint mir dennoch angebracht, hier klarzustellen, was die Bilder des historischen Arcimboldo mit Sicherheit nicht waren: Seine Konglomerate aus Früchten oder Tieren haben insofern nichts mit Collagen zu tun, als dafür das Auffinden und Ausschneiden von reproduziertem Material aus verschiedenen Kontexten essenziell ist, sowie die Konfrontation dieser heterogenen Bildteile in einem Klebebild – während Arcimboldos Kunst darin besteht, ein komplexes, in sich schlüssiges Ganzes mit den Mitteln der Malerei zu erfinden: Seine Kunst lässt die Malerei als der Natur ebenbürtig erscheinen und präsentiert damit den Künstler als Schöpfer von naturgleichen Kreationen, der einen Herrscher ehrt, den er als Gott des Lebens und der Verwandlung darstellt. Insofern verfolgte Arcimboldo durchaus ernsthafte künstlerische Ziele, die mehr auf eine virtuose Naturwiedergabe und malerischen Erfindungsgeist bauten, als auf bloßen Regelbruch und Ulk.

Es bleibt zu hoffen, dass Impulse wie dieses kurzweilige Buch zur Kunstbetrachtung vor den Originalen anregen, wo den jungen Museumsbesuchern dann hoffentlich auch Zeit und Raum zu selbständigem, lustvollem Schauen bleibt – Zeit, die nicht von vorgegebenen Fragen strukturiert und die Aufmerksamkeit nicht zu sehr von vorgegebenen Modellen geprägt ist.