Festgehalten (untot). Zu Friedl Kubelkas Fotopaar ›Venzone‹, 1975

Katalogtext zur Ausstellung im Museum auf Abruf (MUSA), Wien, 13.3.–7.6.2008. Publiziert in: MATRIX. Geschlechter | Verhältnisse | Revisionen, hg. v. Sabine Mostegl und Gudrun Ratzinger für Kulturabteilung der Stadt Wien, mit Texten Ders. sowie Griselda Pollock, Rozsika Parker, Anja Zimmermann, Andrea Hubin, Marie Röbl, Friedrich Tietjen, Frauke Kreutler et al. (Dt./Engl.), Wien: Springer Verlag 2008, S. 142 (dort leicht gekürzt)

FRIEDL KUBELKA, Venzone, 1975. Silbergelatine-Print auf Barytpapier, 60 x 40 cm. Courtesy: Museum auf Abruf (MUSA), Wien

Auf der ersten gemeinsamen Reise inszeniert sich ein Paar an einem schaurigen Ort als Vanitasmotiv: einmal Friedl, dann Peter Kubelka vor den berühmten Mumien in der Krypta des Doms von Venzone, am 14. Februar 1975. Im folgenden Jahr wurden die friaulische Kleinstadt sowie der Dom bei verheerenden Erdbeben fast völlig zerstört (nachdem man die meisten Gebäude anhand von Fotografien weitgehend rekonstruieren konnte, wurden fünf der erhaltenen Leichname seither anders, nämlich liegend und nackt ausgestellt). In der Präsentation von 1975 erscheinen die gruppenweise in Vitrinen aufgestellten Mumien wie Tänzer: ihre unterschiedlichen Kopf-, Arm- und Fußhaltungen wirken wie elegante Bewegungen, ihre eingefallenen Mund- und Augenhöhlen wie expressives Mienenspiel, und die grotesken weißen Spitzenschürzen verstärken den Eindruck von Lebendigkeit.

Auf scheinbar spontanen Urlaubsschnappschüssen inszenieren sich die Kubelkas gleichsam im Kreis dieser Untoten; sie stehen beide in statuarischen Posen frontal zur Kamera ausgerichtet, wobei Ausdruck, Position und Aufnahmewinkel jeweils leicht variieren: Er blickt ernst in die Kamera und verdeckt eine Figur genau, ist damit der Mumienreihe eingegliedert; Friedl hat dagegen die Augen niedergeschlagen und hält die Arme in einer Art Andachtsgeste (oder fröstelt auch nur), wobei sie präzise so positioniert ist, dass ihr der Leichnam dahinter lauthals lachend über die Schulter zu blicken scheint. Hinter der amüsanten Inszenierung steckt allerdings mehr als eine ironische Bezugnahme auf die Liebe oder den Valentinstag.

FRIEDL KUBELKA, Venzone, 1975. Silbergelatine-Print auf Barytpapier, 60 x 40 cm. Courtesy: Museum auf Abruf (MUSA), Wien

Auch die vielteiligen Tages-, Jahres- und Gedankenporträts von Friedl Kubelka (geb. 1946 als Friedl Bondy, verh. Kubelka 1978–2001, verh. vom Gröller seit 2009), die für ihr gesamtes Œuvre von zentraler Bedeutung sind, entstehen im Spannungsfeld von strengen konzeptuellen Vorgaben und kontingenter Vielfalt der einzelnen aufgenommenen Situationen. Dabei wird die Beziehung der Person(en) vor und hinter der Kamera – auch jene zum imaginären Gegenüber in der Selbstinszenierung – konsequent hinterfragt.

Im wechselseitigen Rollentausch bei den ›Venzone‹-Aufnahmen manifestiert sich dies en miniature. Die spezifischen inhaltlichen Implikationen des Motivs bieten Anlass für noch weitreichenderes Nachdenken über (vermeintliche) Polaritäten sowie ihre wechselseitigen Zuordnungen und Beziehungsgeflechte, wie sie die Gender- und Fototheorie beschäftigen: Mann – Frau, Leben – Tod, Schwarz/Schatten – Weiß/Licht, Bewahrung/Beständigkeit – Stilllegung/Vergänglichkeit, Körper – Leib oder Eros – Thanatos.