Stadt zur Ansicht auf Karten im Raum. Zur vierten österreichischen Fototriennale ›sight.seeing‹

Rezension der Ausstellung an verschiedenen Orten im Stadtraum Graz, 10.1.2003–28.2.2003 sowie der Neuerscheinung in der Edition Fotohof. Publiziert in: Camera Austria 82/2003, Graz, S. 90f.

SIGHT.SEEING. 4. Österreichische Triennale zur Fotografie, hg. von Werner Fenz, mit Texten Dess. und Ole Frahm/Friedrich Tietjen, Gregor Podnar, Hedwig Sachsenhuber, Thomas Trummer, Ulf Wuggenig, Salzburg: Edition Fotohof (Bd. 33) 2003

Die vierte Österreichische Triennale zur Fotografie fand – etwas später als ihrem Dreijahresrhythmus entsprechend – in Graz während der Eröffnungsfeierlichkeiten zum Jahr 2003 statt, in dem die Stadt den Titel ›Kulturhauptstadt Europas‹ trägt. Diese Auszeichnung beschert neben mannigfaltigen Veranstaltungen auch zahlreiche Sehenswürdigkeiten, die das Stadtbild neu akzentuieren, wie etwa der ›Uhrturm-Schatten‹, ein Stahlobjekt, das das markante Grazer Wahrzeichen verdoppelt. In den Kontext dieser Aktivitäten fügte sich das Thema der Fototriennale: ›Sight-Seeing‹ als fotografische Erkundung der Stadt in ihrer komplexen Bedingtheit durch architektonische, sozio-kulturelle und gesellschaftliche Faktoren. Hinterfragt wurden die Rolle und die künstlerischen Möglichkeiten des Mediums im urbanen Raum, der als Projektionsfläche von Bildwelten besetzt ist, die vor allem kommerziellen und politischen Interessen dienen. Angestrebt wurden Erweiterungen des fotoästhetischen Bildrepertoires (auch im Zusammenspiel mit Text-Botschaften), um Phänomene der Urbanität abseits von inszeniertem Werbedesign oder arglosem Dokumentarismus, als ›künstlerische Bilderschrift im Raum‹, darzustellen.

Eine für die Umsetzung zentrale Entscheidung des Kurators Werner Fenz lag darin, die nach diesen Vorgaben entwickelten Arbeiten ›dem öffentlichen Raum als vergrößerte Ansichtskarten wieder einzuverleiben‹. Eine Ausstellung innerhalb des Kunstkontextes wurde vermieden, um Status und Zuschreibbarkeit der fotografischen Werke nicht über materielle oder vermarktbare Qualitäten herzustellen. Ebenso wurde bewusst auf die herkömmlichen Formen urbaner Bildveröffentlichung auf Plakatwänden oder Stadtmöbeln verzichtet. Stattdessen präsentierten die zwanzig eingeladenen internationalen KünstlerInnen ihre Arbeiten an ausgewählten, ›paradigmatischen Orten des öffentlichen Lebens‹, meist an Fassaden oder eigenen Bildständern, in einzelnen Fällen auch in Geschäfts- oder Gastronomieräumen. Alle Motive sind zudem als e-cards, also elektronische Ansichtskarten zu versenden (http://fototriennale.mur.at).

ANNA JERMOLAEWA, Ohne Titel, 2003. Installation am Tummelplatz, Kat. S. 70/71

Ob als absichtsvoll zurückhaltende Geste oder unvermeidliche Begleiterscheinung anderer, noch zu benennender, Umstände: Im fulminanten Treiben des Kulturhauptstadtjahres und unter den Plakatständern des zeitgleich stattfindenden Wahlkampfes waren die über den Stadtraum verteilten Arbeiten schwer bemerkbar, jedenfalls nicht als Gegengewicht und auch kaum als subversive Intervention. Auch deshalb kommt dem Katalog eine wichtige Rolle zu, weil er die Fotoarbeiten an ihren Anbringungsorten in Graz übersichtlich dokumentiert, in Textzitaten und Abbildungen auch die Œuvres der KünstlerInnen umreißt und sechs ausführlichere, theoretische Aufsätze beistellt.

Überblickt man so das Gesamtprojekt, zeigt sich zunächst dessen thematisches Spektrum: Ein Teil der Fotoarbeiten lässt sich in seiner inhaltlichen Ausrichtung mit den Schlagworten Stadtwahrnehmung und Tourismus sowie Globalisierung versus Lokalkultur bezeichnen (Karl-Heinz Klopf, Miles Coolidge, Ken Lum, Martin Parr). Eine größere Gruppe widmete sich – in Umkehrung der klassischen Ansichtskarten-Funktion, das Sehenswürdige als entkontextualisiertes, geschöntes Bild festzuschreiben – gesellschaftlichen und ethno-kulturellen Problemen, wie den sozialen Folgen von Neoliberalismus und Migrationsbewegung (Helmut und Johanna Kandl, John Goto, Sabine Gross, Andreja Kuluncic).

Der Aufsatz des slowenischen Kunsthistorikers Gregor Podnar, der (außer dem Kurator selbst) als einziger auf die künstlerischen Beiträge der Triennale eingeht, knüpft hier an: Er beschäftigt sich mit dem Zusammenwirken von politischen bzw. ökonomischen Faktoren und Kunstbetrieb. Seine Ausführungen zur ›Vereinheitlichungsideologie der EU‹ als ›Europa der Vielfalt, das die Probleme, das Andere zu verstehen verleugnet‹ sowie zur Instrumentalisierung von Kunst sind im Kontext von ›Graz 003‹ von aktueller Relevanz. Die anderen, meist historisch angelegten Aufsätze zum Verhältnis von Fotografie und Reisen, Fotografie und Stadtwahrnehmung, zur Geschichte der Ansichtskarte oder der Stadtsoziologie geben jeweils einen fundierten Einstieg in ihre Sachgebiete.

MARTIN PARR, Interspar, 2003. Installation im Eingangsbereich des Interspar-Marktes in der Wienerstraße), Kat. S. 159

Etliche Fotoarbeiten blieben dagegen doch allgemein illustrierend und die alternativen Sehenswürdigkeiten eher Gemeinplätze. Viele Beiträge nutzten Montageverfahren, was mitunter zu etwas spröden Kompositionen führte (Minerva Cuevas, Marjetica Potrc, Katrina Daschner); aber auch raffiniertere Bildfindungen, die mit semantischen Spannungsverhältnissen auf der Motivebene arbeiten (Ken Lum, Roman Ondak, Martin Parr) erreichten in der Präsentation relativ wenig Wirkung. Zwei Beispiele mögen die Schwierigkeiten verdeutlichen, ein letztlich mediensoziologisches Anliegen (Rezeption künstlerischer Mittel der Fotografie im öffentlichen Raum) unter bestimmten Rahmenvorgaben (Vermeidung des Kunstkontextes sowie vorhandener Bildkanäle) mit einer relativ komplexen Themenvorgabe (Stadtgefüge) zu verbinden:

ALAIN BUBLEX, Wet Stones-Papierset, 2003, Kat. S. 33

So wirkten die Papiersets von Alain Bublex (geb. 1961), die er an einem Grazer Würstelstand in Umlauf brachte etwas belanglos: einer Straßenfotografie mit Blick auf den Schlossberg und kleinem Uhrturm im Hintergrund wurde eine Comic-Wurst einmontiert und mit Untertitel und einem kleinen Logo versehen. Die bewusst unprätentiöse Gestaltung erklärt sich aus Bublex’ Gesamtprojekt, das sich auf der Basis von Koolhaas’ Text Generic Cities mit der Gründung einer (fiktiven) Mobil-Fast-Food-Kette befasst – was ein senf-bekleckertes Papierset mit Wurst am Berg allein aber nicht vermitteln kann. In diesem Fall benötigt man die Informationen aus dem Katalog – das heißt, dass eine adäquate Rezeption wohl nur im Kunstkontext möglich ist, wobei der Raum der Auseinandersetzung genauso ein Katalog wie eine Ausstellungshalle sein kann.

ANDREA VAN DER STRAETEN, Plakat mit Banner ›Demnächst im Programm 003: Der Jahrmarkt von Sorotschintzi, nach Modest Mussorgskij, in einer Bearbeitung von Andrea van der Straeten‹, Graz 2003, Kat. S. 92

Andrea van der Straeten (geb. 1953) setzt sich bereits seit längerem intensiv mit den Informationspolitiken im öffentlichen Raum auseinander. Allerdings nutzen ihre früheren Projekte die bestehenden Bildkanäle des jeweiligen Kontextes vor Ort und erreichen über derartige Camouflage-Strategien eine Ambivalenz, welche die (repräsentations-)kritische Dimension ihrer Arbeit erst ermöglicht. Ihr Beitrag zur Triennale kündigt eine Opernaufführung ›im Programm 003‹ mittels einer Fotografie an, die pointiert klarmacht, was im offiziellen Programm der ›Kulturhauptstadt Europas‹ wohl doch keinen Raum gefunden hätte. Allerdings würde auch diese Arbeit besser funktionieren, wenn sie die Künstlerin am ursprünglich dafür geplanten Ort – einem Schaukasten des Schauspielhauses – hätte anbringen können. Aus verschiedenen Gründen fand diese Arbeit schließlich ihren Platz vor der Universität für Musik und darstellende Kunst an einem der bereits erwähnten Bildständer.

Dieser kleine Unterschied macht deutlich, dass einer der konzeptuellen Ansprüche – den Status bzw. die Erkennbarkeit von künstlerischer Fotografie im öffentlichen Raum auszuloten – im gegebenen Rahmen kaum zu erfüllen war. So wenig, wie es möglich ist die Grenze zwischen ›künstlerischer‹ und ›angewandter‹ Fotografie an den bildsprachlichen Mitteln festzumachen, so wenig lässt sich die Rolle des Mediums im dichten Kontext des öffentlichen Raumes überprüfen, wenn man als Ort der Auseinandersetzung einen merkwürdigen Zwischenraum durch neue Bildformate (›vergrößerte Ansichtskarten‹) schafft, dem eine eigene, gewachsene Kultur der Aufmerksamkeit fehlt, deren Wirkungen und Bedingungen es doch zu hinterfragen gegolten hätte.