Raum aus Grafik. Zur Installation ›Ohne Titel‹ von Olga Sutterlüty, 2003

Katalogtext zur Ausstellung der Wiener Kunstschule ›exit_03: filterlos‹ im Komfort-Gigant-Zentrum, Wien, 28.5.–9.5.2003. Publiziert in: exit_03: filterlos. Diplomausstellung der Wiener Kunstschule. Mit Texten von Andrea Hubin, Gerhard Hermanky, Daniela Schmeiser, Marie Ringler et al., Wien: Triton Verlag 2003, S. 77–79

In ihrer Diplomarbeit präsentiert Olga Sutterlüty (geb. 1971) Druckgrafik in einem spezifischen Setting, das die Lichtverhältnisse, die Blickachsen und die räumliche Situation ihrer Rezeption entscheidend prägt. Damit sind kontextuelle Bedingungen der Ausstellungspräsentation und -wahrnehmung als zentraler Bestandteil der Konzeption zu sehen. Druckgrafische Gestaltung wird nicht nur aus dem gängigen Zusammenhang eines gerahmten Einzelbildes oder einer Publikation gelöst, sondern auch von ihrem – im Normalfall opaken – Trägermedium; in der Zusammenschau mehrerer Schichten von grafischen Elementen auf transparenten Platten entsteht ein plastischer Effekt, ein Raum aus Grafik, der nicht einnehmbar ist und ebenso wenig ›bloß illusioniert‹.

OLGA SUTTERLÜTY, Ohne Titel, 2003 (Installationsansicht). Lithografie/Alugrafie auf Plexiglasplatten 65 x 49 cm, Holzkonstruktion, Spanplatten, Oberlicht, 0,90 x 4 x 3 m

Zwei Wände, die in architektonischer Verbindung mit dem Ausstellungsraum und unter Nutzung seiner besonderen Bedingungen errichtet wurden, bilden eine Art Zwischenraum. Die baulichen Einfügungen sind der vorgegebenen Architektur in Anstrich und Mauerstärke weitgehend angeglichen und sind weniger als ästhetische Gestaltungselemente zu sehen, als vielmehr funktional, indem sie eine spezifische räumliche Situation zur Präsentation von druckgrafischen Arbeiten schaffen. Der Abstand zwischen den beiden raumhohen Wänden beträgt etwas mehr als Schulterbreite und ermöglicht es, in den entstandenen Zwischenraum einzutreten; indes ist der Abstand aber doch so schmal, dass man die beiden Wände auch als eine doppelwandige oder zweischalige Wand auffassen könnte und den Raum dazwischen als eine Art Hohlraum.

Im Inneren ist der schmale Raum von oben belichtet, wobei das Licht durch farbig bedruckte Plexiglasscheiben fällt, die außer Reichweite in mehreren horizontalen Ebenen angebracht sind. Die druckgrafischen Arbeiten werden also auf durchsichtigem Trägermaterial und über den Köpfen der Betrachtenden präsentiert. Demnach wird auf die herkömmlichen Anwendungsgebiete und Verbreitungsformen von Druckgrafik verzichtet: üblicherweise ist man mit druckgrafischen Bildern in frontal-vertikaler Wandhängung konfrontiert, neben ihrer zweifellos häufigsten Verbreitung in Printmedien und Buchpublikationen, durch die das Medium letztlich Objekten einverleibt wird. Die Plexiglasplatten sind in gleichbleibenden Abständen übereinander wie Regalbretter in schlitz- bzw. rillenartige Vertiefungen der beiden Seitenwände eingeschoben; durch diese ›Lagerung‹ ist man in der Außenansicht an ein Archivierungssystem erinnert – jedenfalls spielt die funktionale Ästhetik der Präsentationsform auf Gebrauchszusammenhänge an, die über den Rahmen von autonomer bildender Kunst hinausweisen.

OLGA SUTTERLÜTY, Ohne Titel, 2003 (Installationsansicht). Lithografie/Alugrafie auf Plexiglasplatten 65 x 49 cm, Holzkonstruktion, Spanplatten, Oberlicht, 0,90 x 4 x 3 m

Die Plexiglasplatten sind beidseitig und in zwei verschiedenen Flachdrucktechniken (in wechselnden Kombinationen) bedruckt: Lithografie, die auf dem glatten Kunststoffmaterial eine spezifische Transparenz erhält, gewinnt durch die entstehenden feinen Farbgradationen eine gewisse ›Körperlichkeit‹, gleichsam eine malerische Qualität. Die Offsetdrucke wirken vergleichsweise grafischer und sind – der fotochemischen Natur des Mediums gemäß – präziser in der darstellerischen Umsetzung. Beide Techniken sind für einen Druck auf Kunststoff eher unüblich; gerade im Vergleich mit dem für diesen Einsatz gängigeren Siebdruck ergeben sie allerdings eine feinere Zeichnung und subtilere Farbgradation.

Die (druck-)grafische Gestaltung, die Darstellung im engen Sinne, beschränkt sich auf elementare Strukturen: Alle Platten zeigen ein ähnlich lockeres Muster aus linearen, weitgehend parallel-laufenden Streifen bzw. Strichen, an deren Binnenzeichnung die Unterschiede zwischen Lithografie und Offset-Technik auf erwähnte Weise deutlich werden. Allerdings treten derartig detaillierte Differenzen bei der Betrachtung in der gegebenen Präsentation in den Hintergrund, denn durch die unvermeidliche Zusammenschau mehrerer Platten verbinden sich die diaphanen Einzelelemente bzw. -schichten zu einer Art Farbraum; die zeilenartige Struktur der Zeichnung verläuft im übrigen quer zu den beiden sich gegenüberstehenden Wänden und scheint diese zu ›verweben‹; ein Eindruck, der dadurch unterstützt wird, dass die Plexiglasplatten rahmenlos in die Wände geführt werden.

OLGA SUTTERLÜTY, Ohne Titel, 2003 (Installationsansicht). Lithografie/Alugrafie auf Plexiglasplatten 65 x 49 cm, Holzkonstruktion, Spanplatten, Oberlicht, 0,90 x 4 x 3 m

Mit dem Verschmelzungseffekt der grafischen Muster auf den Einzelplatten werden zwei wichtige Paradigmen westlicher Bildtradition, die Zweidimensionalität und die Tiefenillusion, gleichsam überspielt. Die Durchsichtigkeit des Plexiglases erlaubt bzw. erzwingt die Wahrnehmung aller Platten gleichzeitig, wobei lediglich die untersten Scheiben unmittelbar sichtbar sind, während alle anderen durch die jeweils darunterliegenden gefiltert wahrgenommen werden. Raum wird hier mittels grafischer Gestaltung also nicht illusioniert, sondern de facto, durch Staffelung bzw. Schichtung, hergestellt: Die grafischen Strukturen besetzen hinter- bzw. übereinander liegende Ebenen und markieren so eine räumliche Zone, die aus Sicht der BetrachterInnen durch die unterste Platte abgeschlossen wird.

Dieser letzten Schicht könnte man mit einem Screen vergleichen: ihre Oberfläche ist visuell als einzige wirklich ›greifbar‹; die restlichen Schichten sind am Zustandekommen eines Bildes beteiligt, dessen Ort mit ansteigender Höhenposition der Trägerplatten zunehmend unbestimmbar wird. Die grafische Lineatur, die an einer isolierten Platte klar, durchlässig und schlicht wirkt, erscheint in der Betrachtung mehrerer gestaffelter Platten undeutlich, dicht und amorph.

Der entstehende Raumeffekt erinnert an die tiefenräumliche Wirkung stereoskopischer Bilder, also an ein Raumbild, das im Prinzip durch das Hintereinander von Gegenständen (und nicht durch Perspektivkonstruktion eines homogenen Fluchtraums) entsteht, und dessen leicht unterschiedliche Einzelbilder nur von einem fixierten Standpunkt aus und in der Zusammenschau räumlich wirken; außerdem an das Phänomen der Luftperspektive, das Landschaftsformationen mit zunehmender Entfernung sukzessive heller und nebulöser erscheinen lässt.

Doch es gibt – neben einigen anderen – einen großen Unterschied, in dem diese beiden Raumbildphänomene von Konstruktion und Wirkung des hier entstehenden Raumeffektes abweichen: die Blickachse nach oben, die es im übrigen paradox klingen lässt, von ›Raumtiefe‹ zu sprechen. Das Fenster-Paradigma westlicher Bildkunst, nach dem das Bild als illusionärer Ausblick in eine imaginäre, bildräumliche Realität verstanden wird, arbeitet gemeinhin nur in horizontaler Richtung. Der Blick nach oben wendet sich indessen niemals in die Tiefe, sondern meist gen Himmel, einen Projektionsraum von visuell unbestimmbarer Entfernung, wo mit Tiefe nur die Weite des Weltalls gemeint sein könnte.