Walter Niedermayrs ›Zivile Operationen‹

Rezension der Ausstellung in der Kunsthalle Wien, 31.1.–27.4.2003 und der Neuerscheinung im Verlag Hatje/Cantz. Publiziert in: Camera Austria 82/2003, Graz, S. 77f.

WALTER NIEDERMAYR. ZIVILE OPERATIONEN – CIVIL OPERATIONS, hg. von Marion Piffer Damiani, Kunsthalle Wien, mit Texten Ders. sowie von Franz X. Baier und Stephan Berg, Ostfildern: Verlag Hatje Cantz 2003 (Deutsch/Englisch)

Nach ›Die bleichen Berge‹ (1993) und ›Reservate des Augenblicks‹ (1998) erscheint mit ›Zivile Operationen‹ nun die dritte großformatige Publikation des Südtiroler Fotografen Walter Niedermayr (geb. 1952), der vor allem mit seinen Bildern vom hochalpinen Raum bekannt wurde. Das neue Projekt, das auch als Ausstellung überzeugt, fasst erstmals verschiedene Werkkomplexe anhand jüngst entstandener Beispiele zusammen, an denen Niedermayr bereits seit längerer Zeit arbeitet: Alpinlandschaften (seit 1987), Innenaufnahmen aus Krankenhäusern und Gefängnissen (›Raumfolgen‹, seit 1991), hochgeführte Autobahntrassen (›Artefakte‹, seit 1992) sowie ›Rohbauten‹ (seit 1997).

WALTER NIEDERMAYR, Rohbauten 2, 2001. Kat. S. 99

Auffälligstes Merkmal von Niedermayrs Bildästhetik ist jene spezifisch ›bleiche‹ Farbigkeit, die durch Überbelichtung bei der Positiv-Ausarbeitung entsteht (bei der Aufnahme selbst wird normal belichtet). Anhand der Alpenfotografien untersucht Niedermayr das Einwirken von Massentourismus und Freizeitindustrie auf vermeintlich unzerstörbare Bergmassive. In der von Pisten, Hoteldörfern und Verkehrswegen erschlossenen Landschaft werden die Hochgebirgszonen zu Reservaten – künstlich begrenzte, kontrollierte Bereiche zur ›vorbehaltlichen‹ Aufbewahrung von Schützenswertem, das oftmals als reiner Schauwert konsumiert wird.

Das Reservat steht bei Niedermayr auch als Metapher für die fotografische Fixierung von Augenblicken. So richtet sich sein Blick nicht auf anekdotische oder mikrosoziologische Momente, sondern erfasst geräumige Ausschnitte aus großer Distanz, in denen Menschen zu ameisengleichen Farbfiguren in weiten, weißen Flächen werden. Die Tendenz zu zart gezeichneten, abstrakten Flächenmustern wird häufig durch aufsichtige Perspektiven verstärkt.

WALTER NIEDERMAYR, Schnalstal-Gletscher VII, 2000. Kat. S. 24/25

Gegen die Ansprüche auf Totalität oder Objektivität, wie sie sich im geschlossen komponierten Einzelfotobild manifestieren, richtet sich Niedermayrs sequentielle Arbeitsweise. Dabei wird kein Hauptmotiv in den Mittelpunkt gestellt, sondern ein Landschaftsabschnitt über mehrere minimale Standpunktverschiebungen hinweg ›abgetastet‹, gewissermaßen ein filmischer Kameraschwenk in einzelne Shots zerlegt.

In der Präsentation bilden dann mehrere, einzeln gerahmte Abzüge (aus derselben Aufnahmeserie) ein Arrangement, das in der Zusammenstellung durchaus variabel ist. So kann eine Art Panorama entstehen, wobei das Geländemotiv durch die Brüche oder Überlappungen zwischen den Einzelbildern verzerrt auftaucht; dadurch wird die Konstruiertheit von Raumwahrnehmung und Landschaftsbild bewusst.

WALTER NIEDERMAYR, Artefakte 11 (Horikiri Autobahn), 2000. Kat. S. 94/95

Mit der Erweiterung seines Arbeitsfeldes um urbane und öffentliche Räume wird das Thema der Bewegung von Menschen im Raum weiter und teilweise im übertragenen Sinn gefasst: die Trasse als Autobahn, Leitungsführung, Behandlungsverlauf, Wegesystem; die Bewegung als motorisierte Fortbewegung, auch fremdbestimmte Ortsveränderung sowie als Abfolge von Lebensstationen – durch diese metaphorische Ausdehnung tritt eine spezifische Implikation der Bilderwelt Niedermayrs stärker in den Vordergrund: die Frage nach der Kontroll- bzw. Definitionsmacht über diese Ver- und Abläufe, die sich der kulturellen bzw. kodierbaren Sphäre der Architektur zweifellos leichter einschreiben (sowie daraus ablesen) lässt, als naturgemäß unwegsamen Gebirgen.

WALTER NIEDERMAYR, Raumfolgen 26, 2002. Kat. S. 112/113

So spricht der Titel ›Zivile Operationen‹ nicht nur von chirurgischen Eingriffen, sondern meint auch gezielte Verfahren anderer Art, wie gesellschaftliche Mechanismen und Institutionen der Disziplinierung. Einerseits mutet es bei einem derart Foucaultschen Ansatz unverzichtbar an, auch Haftanstalten miteinzubeziehen. Andererseits scheint fraglich, ob die von Niedermayr am hochalpinen Raum entwickelten (foto-)ästhetischen Strategien, wie etwa die ›Zurücknahme der Bilddichte‹, zu einer adäquaten Darstellung der doch sehr anderen Bedingungen von Gefängnisräumen geeignet sind. Während es etwa für die ›Weißheit‹ in den Gletscherbildern durchaus inhaltliche Gründe gibt, sind die Lichtreflexe und Spiegelungen, die hier zu einer ›Störung der Verweisung‹ (Peter Geimer zit. Martin Heidegger) führen, doch kaum mehr als eine rein ästhetische Zurücknahme der Abbildungsleistung, Leerstellen, die wenig Erkenntnisgewinn bringen.

WALTER NIEDERMAYR, Raumfolgen 39, 2002. Kat. S. 138/139

Letzteres lässt sich aber von dieser Ausstellung insgesamt nicht behaupten, die dank der langjährigen Auseinandersetzung von Kuratorin Marion Piffer Damiani wie den PAUHOF Architekten mit Niedermayrs Werk durch eine konsequente Auswahl und Raumgestaltung überzeugt und erfreulicherweise eine ausgedehnte Tour antreten wird (Kunstverein Hannover, 10.5.–22.6.2003; Museum der bildenden Künste, Leipzig, 3.7.–28.9.2003; Württembergischer Kunstverein Stuttgart, 15.11.2003–18.1.2004; Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst Bozen, 30.1.–4.5.2004).