Site-Seeing. Disneyfizierung der Städte?

Rezension der Ausstellung im Künstlerhaus Wien, 13.12.2003–9.2.2003. Publiziert in: Camera Austria 81/2003, Graz, S. 74f.

Der angloamerikanische Urbanismus-Diskurs generiert Wortschöpfungen, die verschiedene Aspekte der Globalisierungseffekte beschreiben und jeweils auf ein bestimmtes Unternehmen zurückgehen: neben McDonaldization und Las Vegasing dürfte McGuggenheimization wohl eines der unsäglichsten Beispiele sein. Der Begriff der Disneyfication wurde Anfang der Neunziger vom New Yorker Architekturtheoretiker Michael Sorkin geprägt um eine Entwicklung zu beschreiben, die sich exemplarisch an der Neugestaltung des Times Square zeigte.

Hier wurde deutlich, dass sich die Hegemonie des Disneykonzerns auf weit mehr erstreckt, als lediglich auf die Ästhetik, das Wertesystem und die bestimmenden Narrative der Unterhaltungs- bzw. Freizeitindustrie. Disney ist Vorreiter in der großflächigen Privatisierung des öffentlichen Raumes in zentral geplanten, gestalteten und verwalteten Shopping Malls, Urban Entertainment Centers und Themenparks.

ROBERT STERN, Entwurf für die Neugestaltung des Times Square, ca. 1992. Stern sitzt im Vorstand des Disneykonzerns, für den er bereits zahlreiche Projekte realisierte

Gesellschaftspolitische Implikationen dieser Entwicklung manifestieren sich in den Zugeständnissen der Behörden, die so weit gehen, den finanzkräftigen Betreibern eine eigene Gerichtsbarkeit zu gestatten – unliebsame Stadtbewohner werden so nicht nur durch ökonomische Barrieren ausgeschlossen, sondern können durch unternehmenseigene Ordnungshüter entfernt oder dem Konzern über ›Gemeinschaftsdienste‹ als uniformierte Mitwirkende einverleibt werden.

Kennzeichnend für Disneyfizierung ist außerdem eine spezifische Strategie der ›Wunschproduktion‹ – als der weltweit zweitgrößte Medienkonzern besitzt Disney unzählige Fernsehkanäle, Printmedien, Musik- und Filmproduktionsfirmen; dies ermöglicht es, die Produkte – nun verstärkt auch Immobilien – wechselseitig und in unterschiedlichsten Kontexten zu bewerben. So propagieren etwa die ›Golden Girls‹ Ideale von Häuslichkeit und Lebensplanung, die Disneys Pensionistensiedlungen zu erfüllen versprechen. Auf diese Weise werden kollektive Vorstellungen geprägt und es wächst nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das kulturelle Kapital des Konzerns.

Imageproduktion ist auch ein zentrales Interesse des Städtetourismus: damit soll der Besuch von Sehenswürdigkeiten angeregt und Einnahmen in den typischen Tourismusgewerben gesteigert werden, wobei man sich auch Synergieeffekte in anderen ökonomischen Bereichen erhofft.

FRANK ROOST, Die Disneyfizierung der Städte. Großprojekte der Entertainmentindustrie am Beispiel des New Yorker Times Square und der Siedlung Celebration in Florida, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2000. Die Publikation des Berliner Architektursoziologen Frank Roost lieferte den Kuratoren wichtige Ausgangsthesen für ihr Projekt

Die Stadt, ehemals soziale Integrationsmaschine und Ort authentischer Erfahrung des modernen Subjekts, wird also zunehmend zum Instrument von Ausgrenzung und Segregation, sowie zum Pool zentral gesteuerter Bildproduktion. Die Präsenz und Macht globaler Konzerne zeigt sich besonders an der Vereinheitlichung urbaner Strukturen über vielfältige geografische und politische Grenzen hinweg, freilich auch in Wechselwirkung mit lokalen Gegebenheiten.

Hier nun setzt das Projekt ›site-seeing‹ von Sönke Gau und Kathrin Schlieben an, das den Effekten dieser Entwicklungen in Wien nachspüren möchte. Dazu dienen zum einen fünf Vortragspanels, die vom ›Büro für kognitiven Urbanismus‹ (Andreas Spiegl, Christian Teckert) an unterschiedlichen, sprechenden Sites verortet wurden. In diesem Rahmen zeigte etwa der Historiker Siegfried Mattl, dass manche Wurzeln der historisierenden Disney-Ästhetik in Wien liegen, im Ringstraßenstil oder im Venedig-Nachbau im Prater von 1895, und thematisierte die unterschiedlichen Voraussetzungen in den USA und Europa. Als Aufsatz wird sein Referat, wie auch das der anderen Vortragenden, in eine Publikation einfließen, die das Künstlerhaus am Ende der Ausstellung herausgeben wird.1

ALEXANDER TIMTSCHENKO, Wild, wild West, 1997. Ilfochrome

Alexander Timtschenko (geb. 1965) zeigt mit seinen Fassaden-Fotografien von Themenhotels in Las Vegas die einzigen Beispiele für eine unmittelbar bildliche Darstellung des Phänomens – wodurch einmal mehr deutlich wird, wie kommentarbedürftig eine einzelne Fotografie als soziopolitische Stellungnahme ist. Der Dokumentarfilm von Harun Farocki (1944–2014) ›Die Schöpfer der Einkaufswelten‹ gibt aufschlussreiche Einblicke in Entscheidungsprozesse von Investoren und Architekten, etwa Diskussionen um die Gestaltungsidee einer Shoppingmall oder zum Corporate Design eines Trachtenlabels. Mehrmals taucht hier die Suche nach einer bestimmenden Story, einem möglichst wirksamen Thema oder Image auf; in der Austauschbarkeit dieser Bilder wird u.a. ein zentraler Aspekt von Disneyfizierung deutlich.

HARUN FAROCKI, Still aus ›Die Schöpfer der Einkaufswelten‹, 2000. Video, Farbe, 72min

Sean Snyder (geb. 1972) recherchierte disneyfikante Auswirkungen der frühen TV-Soap ›Dallas‹, die auch im kommunistischen Rumänien gezeigt wurde. Ein betuchter Fan baute dort eine erstaunlich getreue Replik der Southfork Ranch, und zwar allein nach den Fernsehbildern; die Kopie geriet aber größer als das texanische ›Original‹, denn dieses wurde mithilfe von speziellen Vergrößerungslinsen gefilmt. Zum Vergleich von medial vermitteltem Raum und realer Kulisse stellte Snyder Modelle der zwei Ranches auf.

Ein zweites Video von Snyder erzählt von einem kuriosen Zwischenfall, als ein Wienbesuch von Larry Hagman im Jahr 1991 zufällig mit einem OPEC-Treffen zusammenfiel. Ein Journalist kam auf die Idee, den Dallas-Hauptdarsteller nach dem Ölpreis zu fragen – Hagman zitierte schlagfertig einen Phantasiepreis aus dem Dallasskript, worauf man einen Einfluss auf den Realpreis befürchtete! – Ein treffendes Beispiel für Simulationstheorien à la Baudrillard, die eine integrale Verfahrensweise der Disneyfizierung verdeutlichen. Auf dieses Phänomen verweist etwa auch ein Bericht über Kinder aus Los Angeles, die regelmäßig nach Disneyland fahren, lediglich um in den dortigen Kulissen ›auf einer normalen Kleinstadt-Straße‹ spielen zu können (aus einem Video von Dorit Margreiter).

PIA LANZINGER, Playstation Vienna. Erobere Schritt für Schritt die Erlebniswelten dieser Stadt, 2002. Stadtrundgänge, Installation, Postkartenleporello

Pia Lanzinger (geb. 1960) präsentiert mit ›Playstation Vienna‹ ein Programm an Stadtrundgängen und einer Brettspielreise als Wand-Installation mit Stationen wie ›Event-Point: Vergeblich suchst du nach den Drehorten von The Sound of Music. Zurück zum Start. Du hast Wien mit Salzburg verwechselt‹. Neben dem Informationsgewinn macht der Spielcharakter deutlich, dass alle Beteiligten um die charmanten Fiktionen der Kulturstadtvermarktung bescheid wissen, was aber deren Wirksamkeit keinen Abbruch tut.

Die grundsätzliche Problematik einer Vermittlung von komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen durch Ausstellungen, sei anhand dreier Positionen umrissen: Das Projekt ›nach olympia‹ von Wiebke Grösch und Frank Metzger (die seit etwa 1999 gemeinsam künstlerisch arbeiten) liefert die Ergebnisse aufwendiger Recherchen in Olympischen Dörfern, die als Modellstädte für eine multikulturelle Gesellschaft städtebauliche Utopien seit den 30er Jahren abbilden. Die darin zum Ausdruck kommenden Konzepte von Disziplinierung und Völkerverständigung zeigen sich auch in der Nachnutzung, etwa als Studentenwohnheim (Grenoble) oder Gefängnis (Lake Placid). So spannende, differenzierte Befunde die zahlreichen Fotos und Textmappen enthalten, so schwer scheint deren Vermittlung im Rahmen einer Kunstausstellung, so unklar bleibt – jedenfalls visuell – der Themenbezug.

ANDREAS FOGARASI, culturepark, 2002. Installation aus Leuchtkästen, Fotografien, Holzkonstruktion und Pflanzenarrangement

Die Installation ›culturepark‹ von Andreas Fogarasi (geb. 1977) präsentiert hingegen eine Gruppe von attraktiven Objekten und evoziert mit diesen einzelne Aspekte des Diskurses: Eine weißgestrichene Holzkonstruktion ist sowohl als Scateboard-Rampe, als Screen sowie als Fotostudio-Kulisse lesbar und eröffnet damit eine Assoziationskette, die in das Umfeld von Disneyfication einführen soll. Grobkörnige Fotografien zeigen den Blick aus einem Londoner Künstleratelier, wobei die Baustellen im Umkreis suggerieren, dass es sich um ein aufstrebendes Stadtviertel handelt – Gentrification-Verdacht also, übertragen auf Wien durch ein Pflanzenarrangement aus einer schicken Blumenhandlung, die unlängst an der neuen Wiener Galerienzeile in der Schleifmühlgasse eröffnete. Schließlich ruft eine ›Disco im Berg‹ Pläne zur Salzburger Guggenheimization ins Gedächtnis. Die Erkenntnisse, die man aus derartiger Anspielungsästhetik gewinnt, bleiben auf dem Niveau einer Vokabelprüfung.


CHRISTOPH SCHÄFER, Still aus ›Revolution Non Stop. Ein Spiel mit den Resten der Überproduktion in den zukünftigen Ruinen des Fordismus‹, BRD 2000. 16mm, 19 min

Demgegenüber arbeitet Christoph Schäfer (geb. 1964) in seinem 16mm-Film ›Revolution Non Stop‹ mit einer bewussten Überforderung. Die Thesen etlicher Theoriewälzer dienten als Drehbuchvorlage, Intellektuelle wie Sabeth Buchmann sind die SchauspielerInnen dieses Verwirrspiels, das versucht, die Mechanismen von Toyotismus, Ausgrenzung und Entertainmentindustrie umzukehren. Hier findet sich ein Erklärungsansatz dafür, warum Kunst mit scheinbar kunstfremden Mitteln an Fragestellungen aus Soziologie, Gesellschaftstheorie und Kulturwissenschaft arbeitet: ›Nur Produkte, die die Vorstellung emotional ansprechen, sind vermarktbar. Das ist die andere Seite von Globalisierung, die neue Front: Subjektivität. Das Warenregime wird in den verstecktesten Winkeln des Geistes errichtet. Was vormals die Kunst definierte, die Produktion von Bedeutung, wird nun zur Basis der Ökonomie‹.


1  Soenke Gau, Katharina Schlieben, Künstlerhaus Wien (Hg.), Site-Seeing. Disneyfizierung der Städte? Mit Texten von Frank Roost, Siegfried Mattl, Jochen Becker, Marie-Luise Angerer, Büro für kognitiven Urbanismus (Andreas Spiegl und Christian Teckert) et al., Berlin: b-books 2003