Emanzipierte Porträtierte. Zur Publikation ›Cora Pongracz: Fotografie‹

Rezension der Neuerscheinung in der Edition Fotohof, Salzburg 2001. Publiziert in: Camera Austria 77/2002, Graz, S. 95

CORA PONGRACZ. FOTOGRAFIE, hg. von Silvia Eiblmayr, Rainer Iglar, Michael Mauracher, mit Texten von Ferdinand Schmatz, Reinhard Priessnitz und Maren Richter, Kat. Galerie im Taxispalais Innsbruck, Salzburg: Edition Fotohof 2001

Nachdem sie bereits mit zwei ersten Retrospektiven auf das nahezu vergessene Werk von Cora Pongracz hingewiesen hatten1, gaben Silvia Eiblmayr und Rainer Iglar nun auch eine entsprechende Publikation heraus. Das Buch vermittelt mit etwa 160 Abbildungen einen umfassenden Überblick über alle Jahrzehnte von Pongracz’ fotografischer Arbeit seit den sechziger Jahren, wobei auch bislang unpubliziertes Material aufgenommen wurde. Im Textteil finden sich neben dem Wiederabdruck eines Artikels von Maren Richter (Erstveröffentlichung in Camera Austria 61/1998) zwei in den siebziger Jahren erschienene Katalogtexte von Reinhard Priessnitz – mit dem Pongracz verheiratet war – sowie ein jüngst verfasster Text von Ferdinand Schmatz, der die Arbeiten Pongracz’ seit langem kennt und zudem als Herausgeber des Priessnitz-Gesamtwerkes auch dessen nicht leicht lesbare Kommentare einzubeziehen wusste.

CORA PONGRACZ, Ohne Titel, 1998/2000. Kat. S. 112

Die HerausgeberInnen konstatieren der Fotografie Pongracz’ durchaus relevante Bezüge zu gegenwärtigen Tendenzen; namentlich zu jener künstlerisch-fotografischen Praxis, ›in der das Thema der zersplitterten Identitäten oder das der prekären Beziehungen zwischen privat und öffentlich eine herausragende Rolle spielen‹ (S. 3). Auch im Hinblick auf Pongracz’ Fotomotive wird deutlich, dass sie in jenen Genres arbeitete, in deren Tradition bzw. in deren diskursiver Auflösung sich heute wichtige Teile der Foto- bzw. Kunstproduktion abspielen: in der Life Style- bzw. (Subkultur-)Szene-Fotografie sowie in der Auseinandersetzung mit dem Porträt, also mit den angesprochenen Fragen zu Individualität und deren kulturell-sozialen Prägungen oder zur Subjektkonstituierung.2 Vor diesem Hintergrund bleibt die Tatsache der langjährigen Nicht-Rezeptionsgeschichte dieses Œuvres umso auffälliger, zumindest was eine kunsthistorische bzw. publizistische Aufarbeitung betrifft. Die Gründe dafür liegen wohl nicht nur in Ignoranz vonseiten des Kunstbetriebes oder an Cora Pongracz’ mangelnden Public Relations, sondern sind vermutlich auf spezifische Weise auch in ihrer Fotografie selbst begründet, die mitunter zu Verwechslungen einlädt.

CORA PONGRACZ, ›Aktion Spermint‹ von Otto Mühl, 1968. Kat. S. 23

So wurden Pongracz’ serielle Arbeiten von Peter Weibel in den frühen achtziger Jahren der feministischen Fotografie zugerechnet – eine vielleicht vorschnelle Etikettierung, die trotz der Berichtigung durch Maren Richter immer noch häufig zitiert wird.3 Was dann aber eine differenzierte Aufarbeitung des Œuvres erschwerte, war vermutlich, dass sich die zentralen Bereiche ihrer Fotoarbeit, die sich in den konkreten Arbeitsverfahren wohl gegenseitig befruchteten, für heutige Begriffe im künstlerischen Anspruch widersprechen: Denn einerseits war sie bescheidene Porträtistin und Dokumentaristin der Aktionisten, der Wiener Gruppe und anderer ProtagonistInnen damaliger Avantgarde.4 Andererseits arbeitete sie in konzeptuellen Serien an einer Hinterfragung der fotografischen Personenrepräsentation, was bereits Peter Weibel feststellte, der Pongracz’ ›Verweigerung der einfachen, identifizierenden Abbildung‹ beschrieb. Diese Arbeiten erschienen zur Entstehungszeit auch in einigen schmalen Katalogen.

CORA PONGRACZ, Hermann Nitsch, 1975. Kat. S. 78

Eine bibliophile Kostbarkeit ist etwa ihre Fotogeschichte ›Martha Jungwirth – Franz Ringel‹ (1972). Der Bindestrich gehört hier nicht zum Titel, sondern trennt zwei selbständige Teile dieses Heftes: es beginnt quasi zwei Mal, hat also zwei Covers (und keine Rückseite) und besteht aus zwei gegengleich zusammengefügten, den jeweiligen ProtagonistInnen gewidmeten Abschnitten. Diese zeigen, abgesehen von einer knappen Biografie und einem kurzen Gedicht über Pongracz, ausschließlich S/W-Fotografien in verschiedenen Formaten, die mindestens auf einer Seite randabfallend publiziert sind.

In narrativ subtilen Sequenzen werden so Geschichten um zwei Personen entwickelt; ohne in Geschwätzigkeit abzugleiten, wird deren soziales und privates Umfeld vorgeführt (dem Cora Pongracz zum Teil angehörte), aber auch Wiener Stadtlandschaften, Hausflure und Weinberge. Der Martha Jungwirth gewidmete Teil ist der konzeptuell spannendere, in ihm gibt es symbolisch aufgeladene Bild-Konstellationen, etwa eine stark beschnittene, fast abstrakte Aufnahme eines Frauentorso im Schnürkorsett, der ein sachliches Foto eines Bidets gegenübersteht; weiters eine Sequenz zu hochhakig beschuhten Frauenbeinen – offenbar auch ein Thema von Jungwirth als Künstlerin – das in eine fantastische Serie zu Verkleidung und Posing vor der Kamera überleitet.

CORA PONGRACZ, aus ›Martha Jungwirth - Franz Ringel. Photographiert von Cora Pongracz‹, 1972. Kat. S. 9 (Zusammenstellung von der Erstpublikation abweichend).

Aus derartigen Erweiterungen des klassischen Porträtbegriffs entwickelte Pongracz ihre vielleicht bekannteste Arbeit ›8 erweiterte portraits – Frauen in Wien‹ (1974). Die fotografierten Frauen nannten Sujets (merkwürdig häufig waren es Kirchen oder Friedhöfe), die Pongracz aufnahm und in strenger Abfolge mit jeweils zwei Porträts der Frauen kombinierte; die assoziativen Erweiterungen entsprangen hier also nicht den Ideen der Künstlerin, sondern den Modellen selbst.

In den ›verwechslungen‹ (1978) befasste sich Pongracz dezidiert mit ironischer Selbstdarstellung und schuf ›bilder, die jedwede bezugnahme zu ihnen selbst wie zum photographierten objekt strapazieren‹ (Reinhard Priessnitz). Die Bandbreite im ironischen Impetus bzw. Vermögen der Porträtierten entfaltet eine Fülle von Nuancen der komplexen Angelegenheit ›Selbstdarstellung‹: von offenkundigem Outrieren oder Grimassenschneiden, über schelmisch gebrochenem Ernst – notfalls durch das Schließen der Augen – zur professionellen Eitelkeit eines Schauspielers und zum bewundernswerten Ernst von Kindern im Spiel.

CORA PONGRACZ, aus ›verwechslungen. einzelphotos und serien‹, Kat. Galerie nächst St. Stephan, Wien 1978. Kat. S. 83

Mitunter wird ›das Selbst‹ auch mit Hilfe von Objekten oder Fetischen ins Bild gesetzt. Dazu wählte Pongracz Modelle aus ihrer privaten Umgebung ebenso wie kameragewöhnte Prominente und zeigte alle gleichermaßen ohne Angabe des Namens. Zählt man nach, fällt die ausgewogene Streuung zwischen Männern, Frauen, Senioren und Kindern auf (überhaupt scheint es die Selbstverständlichkeit im Einbezug von und im Interesse an Frauen zu sein, die dazu verleiten kann, Pongracz als Feministin zu bezeichnen). Da Formate, Layout und Umfang der Serien stark variieren, wird der Eindruck einer soziologischen Studie verhindert, gegen den sich Pongracz bzw. Priessnitz über Pongracz auch ausdrücklich aussprach(en). Übrigens gibt es auch eine fotografische Selbstdarstellung der Fotografin (1975), die eine Reihe von offenen Küchen- und Kleiderschränken zeigt und in Manier der Konzeptkunst mit einem Text kombiniert ist.

Nun muss nun eingeräumt werden, dass der vorliegende Band zwar Beispiele aus all diesen Serien (und auch aus anderen, die zu besprechen hier der Platz fehlt) abbildet, aber in einer Weise, die viele der gemachten Beobachtungen nicht erlaubt. Denn man hatte offenbar die Wahl, ein Buch auch über Bücher zusammenzustellen – und damit die originalen Layouts und sorgfältig konzipierten Zusammenstellungen der Serien adäquat zu dokumentieren – oder aber einfach Material zu versammeln, das das Gesamtwerk wenigstens halbwegs umfassend darstellt. Da man sich für letzteres entschied und damit dem konzeptuellen Charakter mancher Arbeiten nicht gerecht werden konnte, bleibt zu hoffen, dass der ansonsten durchaus verdienstvolle Band zu weiterer (Nach-)Forschung anregt.

1  1996 im Salzburger Fotohof und 2000 in der Innsbrucker Galerie im Taxispalais; erwähnt sei außerdem die Ausstellung anlässlich der Verleihung des österr. Würdigungspreises für künstlerische Fotografie 2001 in der Galerie H.S. Steinek.

2  Stellvertretend für viele FotografInnen seien hier Wolfgang Tillmans, Thomas Struth und Rineke Dijkstra genannt; im Kontext von Gruppenausstellungen verweise ich nur auf zwei naheliegende Beispiele, die die anhaltende Aktualität dieser Themenfelder belegen: ›double life. Identität und Transformation in der zeitgenössischen Kunst‹ im Sommer 2001 in der Wiener Generali Foundation sowie ›Abbild. recent portraiture and depiction‹ im steirischen herbst 2001.

3  Peter Weibel, Zur Geschichte der Künstlerfotografie als ein Motor der Fotografiegeschichte, in: Camera Austria 13/1984, Graz, S. 51f. sowie Maren Richter, Cora Pongracz. Anleitung zum Sehen oder ›Wien, die 70er Jahre, Frauen usw.‹, in: Camera Austria 61/1998, Graz, S. 57–69.

4  Erst unlängst gelangten wieder zwei Pongracz-Fotos zur Versteigerung, die nun wahrscheinlich eine Rainer-Sammlung ergänzen werden; Pongracz selbst verstand ihre ›Star‹-Porträts aber wohl nie als solche – in diesem Sinne veröffentlichte sie ihre Fotos von Adorno, Artmann, Nitsch, Jandl und Konsorten, wenn sie Einfluss darauf hatte, immer ohne Benennung der Dargestellten im Kontext ›anonymer‹ Porträts.