Interfaces, slick and tricky. Günther Selichars ›Screens, cold‹

Rezension der Ausstellung der Kunsthalle Wien im project space, Akademiehof, Kupferstichkabinett, 6.7.–29.7.2001. Publiziert in: Camera Austria 75/2001, Graz, S. 94f.

Während die Kunsthalle Wien mittlerweile mit Pomp und Party im neuen Haus einquartiert ist, agiert ihre ›kleine, flexible und dynamische Eingreiftruppe‹, wie Lucas Gehrmann seine Programmschiene project space beschreibt, nach wie vor fliegend – jedenfalls bis Anfang nächsten Jahres eine dauerhafte Heimstätte am Karlsplatz bezogen werden kann. Für die Präsentation von Günther Selichar (geb. 1960) mit dem Titel ›Screens, cold‹ wurde das schlichte Kupferstichkabinett im Akademiehof ausgewählt – ein idealer Ort, um einige Arbeiten dieser international beachteten Werkserie sowie eine Videoinstallation nun erstmals hierzulande zu sehen.

Das Video ›GT Granturismo‹ von Günther und Loredana Selichar, die mit dieser Arbeit übrigens zur Biennale nach Venedig eingeladen wurden, führt in die Thematik der Fotoarbeiten ein, indem es gewissermaßen ihren Konterpart bildet. Es simuliert eine Autofahrt auf kurviger Landstraße und setzt dabei Windschutzscheibe und Bildschirm in eins; Insekten klatschen darauf, sozusagen mitten ins Interface und verwandeln es sukzessive in eine Art drip painting.

GÜNTHER & LOREDANA SELICHAR, GT Granturismo, 2001. Standbild aus dem Digitalvideo, 5'

Selichars großformatige Fotografien zeigen dagegen verschiedene Monitore und Displays in ausgeschaltetem Zustand, also kalt. McLuhan hatte jenes Medium als ›kalt‹ bezeichnet, das man gemeinhin am eingeschalteten Bildschirm konsumiert – ihm galt das Fernsehen als ein detailarmes Medium, das eine hohe Partizipation verlangt, während er die Fotografie zu den ›heißen‹ Medien zählte. Selichars ironische Bezugnahme auf McLuhan ist allerdings nur ein erster Hinweis auf die vielfältigen medien- und wahrnehmungskulturellen Ebenen, die sich anhand seiner ›Screens‹ verweben.

GÜNTHER SELICHAR, Screen, cold #9, 1997/2001. Ilfochrome/Alucobond, 125 x 458 cm

Verschiedene Parameter, Mythen und Dispositive, die sich teilweise bereits am Tafelbild herausbildeten, haften am Bildschirm, entwickelten dort ihre spezifische Ausprägung und konditionieren die Wahrnehmung der transportierten Daten. Neben den elementaren Bedingungen der Rechteckigkeit sowie einem bestimmten Kanon an Proportionen, ist dies etwa die Rahmung. Die für Monitorgehäuse aus statischen Gründen üblich gewordenen runden Ecken korrelieren mit der elektronischen Bildlichkeit; sie verstärken den Eindruck eines geschlossenen Schreins, in dem die flüchtigen Bilder an einem Fenster vorbei fließen (und nicht in der statischen Tektonik eines scharfkantigen Tafelbildes verharren). Die symbolischen Implikationen der Schnittstelle in eine andere Welt, Spiegel-, Fenster- und Projektionsmetaphern, verbinden sich mit den politischen Dimensionen allgegenwärtiger Massenmedien unserer Kontroll- und Konsumgesellschaft. Verschwinden aber die Bilder, erlischt die Fiktion oder endet der Informationsfluss, so bleibt eine leere und aufgeladene Fläche zurück.

GÜNTHER SELICHAR, Screen, cold #15, 1997/1998. Ilfochrome/Alucobond, 125 x 190 cm

Diese zu zeigen, eignet sich die Fotografie durch ihre Indexikalität, ihre Detailtreue und ihre Möglichkeiten zur Veränderung des Abbildungsmaßstabes. Die ›Screens, cold‹ wurden allesamt mit einem nur schmal angeschnittenen Gehäuserand aufgenommen (sozusagen aus dem objekthaften Gerätekontext geschnitten) und in den Abzügen auf eine einheitliche Seitenhöhe von 125 cm skaliert. In der Gesamtschau ergeben sie damit praktisch einen Fries aus vergleichbaren Individualitäten: die jeweilige Proportion, Farbigkeit und Feinstruktur wird deutlich. Letztere zeigt sich vor allem aufgrund der immensen Schärfe der Aufnahmen, die trotz enormer Vergrößerung der teilweise zentimeterkleinen Gerätedisplays dichte, hochaufgelöste Bilder zulässt. In den spiegelnden Highgloss-laminierten Alucobonds zeigen sich (nebst etwaigen Spiegelungen der BetrachterInnen!) emailartige, tiefe Opazität oder eine Grobkörnigkeit, deren Punktstruktur nicht das fotografische Korn offenlegt, sondern den Feinaufbau des Bildschirmes abbildet. Wenn sich allerdings (in ›Screen, cold‹ #1) innerhalb der punktierten Matrix eine feine Gitterstruktur durchgehend über Bildschirm und Gehäuserahmen zieht, dann offenbart sich hier auch die Mikrostruktur der Fotoproduktion. Auf diese Weise führt ein auf die (technische) Spitze getriebener ›Dokumentarismus‹ in einen spannenden Schwellenbereich zwischen Abbild, Konstruktion und Dekonstruktion, also mitten in die Diskussion um den Status des Bildes im Zeitalter elektronischer Medien.

GÜNTHER SELICHAR, Screen, cold #22, 1997/2001. Ilfochrome/Alucobond, 125 x 200 cm

In der analytisch-seriellen Herangehensweise sowie in der ›einnehmenden‹ Ästhetik der Serie erinnert Selichar an modernistische, monochrome Malerei à la Rothko oder Newman – ein Bezug, der auch in früheren medienkritischen Arbeiten bewusst angelegt war (etwa in ›Who is Afraid of Blue, Red and Green?‹). Bedenkt man den historischen Hintergrund, auf den hier angespielt wird, so landet man in einer Kollision von Medienbegriffen. Denn schließlich verstand man in den fünfziger und sechziger Jahren unter ›Medienreflexivität‹ v. a. die Hinterfragung der physischen Eigenschaften medialer Träger – namentlich des Tafelbildes – um die Essenz eines Mediums zu fassen. Doch heutzutage ist das Medium (hier: die Fotografie) raffinierter und schillernder als zu Antonionis Zeiten und tritt mit Vorliebe im hybriden Plural auf. Selichars ›Blow ups‹ enthüllen also weder eine ehemals verborgene, nun offensichtliche Realität noch verweisen sie eindeutig auf das Darstellungsmedium (während sich im gleichnamigen Film das corpus delicti nur gleichzeitig mit dem Korn enthüllte), sondern eben vorrangig auf das dargestellte Medium.

GÜNTHER SELICHAR, Screens, cold. Mit Texten von Hubertus von Amelunxen, Robert C. Morgan und Urs Stahel, Wien: Triton Verlag 2001

Zu den ›Screens, cold‹ erschien kürzlich eine Publikation bei Triton, die diese Serie in den Zusammenhang von Selichars jahrelanger, konsequenter Auseinandersetzung mit Medien stellt. Dass es sich dabei um mehr als eindimensionale ›Reflexivität‹ im oben angesprochenen Sinne handelt, demonstriert humorvoll das Cover. Es zeigt eine Ansicht von Brooklyn/New York, wahrscheinlich von einer hochgeführten S-Bahnstation aufgenommen. Auf einer der Reklametafeln entlang der Strecke ist über einem Geländewagen zu lesen: ›Gets you to places where billboards don’t exist‹. Das verführerische (natürlich uneinlösbare) Versprechen bemüht den romantischen Mythos von unberührter – in diesem Falle: werbe- bzw. bildfreier – Natur, die mit dem beworbenen Auto erreichbar wäre. Das rhetorische Vehikel, das diese Botschaft transportiert, ist ein Witz, beruhend auf dem Perspektivwechsel zwischen (fiktionalem) Botschaftsinhalt und (materiellem) Botschaftsmedium. Dabei ist die reziproke Reflexivität dieses Werbetextes so wirksam wie abgestanden: Aufmerksamkeit für das Objekt (der Reklametafel im urbanen Kontext) wird für eine Werbeaussage nutzbar gemacht, so wie umgekehrt der Slogan auf seinen materiellen Träger verweist. Wenn also die Massenmedien selbst ihre medialen Bedingungen kommerziell nutzen, bedarf es anderer Strategien, um zu differenzierteren Ergebnissen zu kommen. Die Aufsätze und der Abbildungsteil des Buches belegen einmal mehr, dass Selichars künstlerische Interventionen jedenfalls als solche gelten dürfen.