Duette, Duelle, Dienstleistungen. Cora Pongracz und Arnulf Rainer

Vortrag im Rahmen der Ausstellung ›Duette Duelle‹ im Arnulf Rainer Museum, Baden bei Wien, Josefsplatz, 8.9.2023

Abstract: Nach einer Vorstellung der Fotografin Cora Pongracz widmet sich der Vortrag deren Auftragsarbeiten für Arnulf Rainer von 1969 bis 1974; dabei kommen spezifische Aspekte von Autorschaft in performativer Kunst und Fotografie zur Sprache. Im dritten und letzten Abschnitt wird Pongracz’ Wirken als Freischaffende anhand ihrer konzeptuellen Porträt-Projekte präsentiert und in Relation zu Rainers künstlerischen Interessen gesetzt.

ERNST JANDL, Cora Pongracz bei der Arbeit an ihrem Projekt »verwechslungen«, Wien 1978. Copyright: Fotosammlung OstLicht, Inv.-Nr. 57-03783.

Cora Pongracz’ Werdegang

Cora Pongracz wurde 1943 in Buenos Aires geboren, wohin ihre Familie aus Wien vor den Nazis geflohen war, und zwar aus konfessionellen wie auch politischen Gründen: Coras Mutter war jüdischer Abstammung und Mitglied der kommunistischen Partei. Gemeinsam mit ihr nach Argentinien geflüchtet waren auch ihre Mutter, Ehemann Ferenc und Tochter Marisa, die ältere Schwester von Cora. 

Cora Pongracz’ leiblicher Vater ­– und Liebhaber ihrer Mutter – war der Bankier Gustav Glück, Sohn des gleichnamigen österreichischen Kunsthistorikers und Bruder von Franz Glück, dem verdienstvollen Direktor des Wiener Historischen Museums. Gustav war ebenfalls nach Buenos Aires emigriert und hatte Elisabeth Pongrácz dort kennengelernt; in der Nachkriegszeit wirkte er dann als Direktor der Österreichischen Länderbank in Wien. 1948 kehrte auch Familie Pongracz nach Wien zurück und Cora ging hier bis zur 6. Klasse Gymnasium zur Schule. In etwa zu dieser Zeit, um 1958, ließen sich ihre Eltern scheiden und sie erfuhr, dass Ferenc Pongracz nicht ihr biologischer Vater war, sondern eben Gustav Glück. Ihn heiratete Coras Mutter nun und die neue Familie Glück zog nach Frankfurt, wo Cora ihr Abitur machte und zu fotografieren begann. Vor dem Hintergrund der Nachkriegszeit und den verschiedenen Erfahrungen von Entwurzelung war Coras Aufwachsen in einer großbürgerlich-jüdischen Familie, in deren Haus zahlreiche Linksintellektuelle verkehrten, von (mehr-oder-weniger unterschwelligen) Widersprüchen geprägt.

CORA PONGRACZ, ›Spiel mit dem Tuch‹ (Ulla), München 1964/65  |  Rudolf Augstein, Frankfurt c. 1966. Copyright: Fotosammlung OstLicht, Inv.-Nr. 57-09266, 57-09268.

Jedenfalls aber war der Umzug nach Deutschland für Coras Ausbildung zur Berufsfotografin gegenüber den Möglichkeiten in Österreich von Vorteil. In Bad Homburg absolvierte sie ab 1961 ein Praktikum in einem Fotostudio, in Hessen besuchte sie die renommierte Fotoschule Hoepffner, die sich im Unterricht am Bauhaus orientierte. Ihren Abschluss erhielt sie im Herbst 1964 an der Bayrischen Staatslehranstalt für Photographie in München. Im folgenden Jahr wurde sie im Rahmen der photokina in Köln mit dem Jugendfotopreis ausgezeichnet, für die Aufnahme ›Spiel mit dem Tuch‹.

CORA PONGRAZ, Bosnien, 1968  |  Korfu, 1964. Copyright: Fotosammlung OstLicht, Inv.-Nr. 57-04717, 57-03801.

Erste praktische Erfahrungen sammelte Pongracz in den Bereichen Fotojournalismus und Reisefotografie. Die frühesten Veröffentlichungen ihrer Bilder finden sich in den Feuilletons von FAZ, Die Zeit (Augstein-Porträt), Der Süddeutschen Zeitung oder im twen-Magazin. Für einen Londoner Verlag illustrierte sie Reiseführer für die Kanalinseln, Jugoslawien und Griechenland.

Aus Pongracz’ nachgelassenem Werkarchiv ist allerdings ablesbar, dass Porträtaufnahmen von Beginn an ihr bevorzugtes Interessensfeld darstellten. Bereits früh wird deutlich, wie sie sich sukzessive vom herrschenden Kanon befreite, etwa vom Anspruch, mittels Fotografie ein ideales Bild einer Person aufzuzeichnen, das essenzielle Wesenszüge gleichsam zeitlos festhält.

CORA PONGRACZ, Theodor W. Adorno, Frankfurt c. 1966. Copyright: Fotosammlung OstLicht, Inv.-Nr. 57-09269.

Stattdessen zeigen Pongracz’ Porträts häufig kommunikative oder transitorische Augenblicke. Markante Posen, ausgeklügelte Kompositionen oder das Erjagen jener berühmten ›entscheidenden Momente‹ à la Cartier-Bresson, die während ihrer Ausbildung als vorbildlich galten, interessierten sie zunehmend weniger.

Nach bewegten Jahren in London kehrte sie im Herbst 1968 nach Wien zurück, wo sie bis zu ihrem Tod im September 2003 lebte. Bald nach ihrer Ankunft lernte sie den Schriftsteller Reinhard Priessnitz kennen, mit dem sie 1974 eine Ehe einging und einen Sohn bekam. Priessnitz nahm durch Vorträge, Katalogbeiträge und Rezensionen sowie als kritischer Gesprächspartner eine wichtige Rolle für viele österreichische Kunstschaffende ein. So unterstützte er etwa Otto Muehl und Hermann Nitsch, aus der Gruppe ›Wirklichkeiten‹ vor allem Franz Ringel, sowie Künstler und VermittlerInnen im Umfeld der Galerie nächst St. Stephan und der Galerie Grünangergasse, wie Oswald Oberhuber, Arnulf Rainer, Walter Pichler, Franz West, Kurt Kalb, Gertie Fröhlich und Rosemarie Schwarzwälder.

CORA PONGRACZ, Franz West, Reinhard und Konrad Priessnitz, Otto Kobalek, Wien 1977  |  Gerhard Rühm, um 1972. Copyright: Fotosammlung OstLicht, Inv.-Nr. 57-04049, 57-09361.

Mit Priessnitz’ Vermittlung knüpfte Pongracz Kontakt zu verschiedenen Gruppierungen der österreichischen Avantgarde, wo sich in den 1970er Jahren viele Anlässe und unterschiedliche Formen der Zusammenarbeit ergaben. So waren Priessnitz und Pongracz auch in der damaligen Literaturszene präsent, vor allem im Kontext der Zeitschriften Neues Forvm, edition neue texte, protokolle und Freibord sowie der Grazer Autoren Versammlung. Zu ihrem Freundeskreis zählten beispielsweise Hilde Spiel, Elfriede Gerstl, Gerhard Rühm und Heimrad Bäcker.

 

Cora Pongracz’ Arbeiten für Arnulf Rainer

Im Zeitraum von etwa vier Jahren war Cora Pongracz drei Mal als Fotografin mit bzw. für Arnulf Rainer tätig. Die erste Gelegenheit ergab sich im Oktober 1969 anlässlich der Eröffnung der 4. Internationalen Malerwochen auf Schloß Retzhof bei Leibnitz. Zwölf KünstlerInnen aus Italien, Jugoslawien und Österreich arbeiteten hier auf Einladung der Steiermärkischen Landesregierung mehrere Wochen im Schlossgebäude (lediglich Arnulf Rainer reiste bereits nach einigen Tagen wieder ab). Wilfried Skreiner, damals Direktor der Neuen Galerie am Joanneum, leitete die Veranstaltung und gab den Katalog heraus. Für eine eigene Bildstrecke im Katalog wurde Cora Pongracz beauftragt, vor Ort Porträts aufzunehmen, die die Beteiligten bei der Arbeit oder im Gespräch vor einem Kunstwerk zeigen. Auch in Hinblick auf dieses Konzept nahm Rainer eine Sonderposition ein:

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer, Oktober 1969. Illustration aus dem Katalog Vierte Internationale Malerwochen auf Schloß Retzhof bei Leibnitz. Sandro de Alexandris, Boris Bućan, Marcolino Gandini, Zmago Jeraj, Peter Krawagna, Ugo La Pietra, Robert Lettner, Nino Malfatti, Elga Maly, Nada Prvulović, Arnulf Rainer, Angelo Giorgio Teardo, hg. und mit einem Text von Wilfried Skreiner, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum, 1969.

Im engen Bildausschnitt sehen wir das Antlitz Rainers in einer entstellenden Grimasse, wobei seine dichten Locken die Wirkung dieser bewussten mimischen Entgleisung verstärken. Die gekräuselte Stirn, der stiere Blick und der halboffen stehende Mund, aus dem scheinbar unkontrolliert die Zunge quillt, erwecken den Eindruck von geistiger Beeinträchtigung, zumindest tiefster Ratlosigkeit.

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer am Retzhof, Oktober 1969. Kontaktbogen aus dem Nachlass. Copyright: Fotosammlung OstLicht.

Im Nachlass von Cora Pongracz hat sich ein kompletter Kleinbildfilm aus dieser Aufnahmeserie erhalten. An den 36 Bildern zeigt sich, wie Rainer zunächst begann, am Fenster eines Keller-artigen Raumes hinter einem schadhaften Eisengitter zu posieren, wobei ihn Pongracz von außerhalb des Gebäudes fotografierte. In diesem Gefängnis-artigen Setting erscheint Rainer gleichsam als Kaspar Hauser; die späteren Brustbilder, die vor der Außenmauer aus größerer Nähe aufgenommen wurden und zur Publikation verwendet wurden, kommen ohne dieses anekdotische Moment aus und konzentrieren sich auf das grimassierende Gesicht.

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer am Retzhof, Oktober 1969. Vier Silbergelatineabzüge, Edition OstLicht, 2015, Inv.-Nr. 57-09295–9298.

Diese Aufnahmen sind somit keine Künstlerbildnisse im ursprünglichen Sinn des Auftrages, denn offensichtlich handelt es sich weder um eine porträthafte Wiedergabe der Person Arnulf Rainer, noch um fotojournalistische ›Künstler-im-Atelier‹-Sujets. Vielmehr sind diese Fotografien jenem Werkblock an performativen Selbstinszenierungen zuzuordnen, den Rainer im Jahr davor, mit den Passbild-Automatenfotos am Wiener Westbahnhof begonnen hatte; dabei trug er mitunter denselben Staubmantel und auch sein Haar ähnlich wie in Pongracz’ Aufnahmen. Die Grimassen entwickelte er ›nach dem Vorbild von Geisteskranken‹, teils auch unter dem Eindruck von Drogenexperimenten.

 

ARNULF RAINER, Arnulf Rainer als Rembrandt II, 1969. Dommuseum Wien  |  ›Face Coloration‹, aus der Serie ›Face Farces‹, 1969. Albertina Wien. Farbstift und Wachs-/Ölkreide über Silbergelatineabzug.

Bekannt wurden die Grimassen-Fotos vor allem in Form von Übermalungen und Überzeichnungen, an denen er in mehreren Serien arbeitete, etwa den ›Face Farces‹. Rainer äußerte dazu, dass er damit an sich ›neue, unbekannte Menschen‹ entdecke, an einer ›symbolischen Umdeutung‹ oder ›Selbstauslöschung‹ arbeite. Ob Rainer Cora Pongracz’ Aufnahmen auf dem Retzhof konkret für Überarbeitungen nutzte, ist noch nicht nachgewiesen, aber jedenfalls verwendete er dafür sehr ähnliche Aufnahmen, wie man an der Wachskreideüberzeichnung aus dem Wiener Dommuseum mit dem Titel ›Arnulf Rainer als Rembrandt‹ oder dem Blatt in der Albertina sieht. Einige Monate nach der Session am Retzhof kam es schließlich zu einer umfangreicheren Zusammenarbeit in Rainers Atelier an der Mariahilferstraße ein, wo er begann ›Fotoséancen‹ durchzuführen.

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer, Studien zur Serie ›Fotoséancen‹, Wien 1970. Kontaktvergrößerung, Silbergelatineabzug, Edition OstLicht, 2015, Inv.-Nr. 57-09300.

Rainers Verfahren des Grimassierens wurde nun gleichsam mit dem ganzen Körper vollzogen. Diese ganzfigurigen Fotoinszenierungen verfolgte Rainer über einen längeren Zeitraum in vielen Variationen an Stellungen und Posen; aus den Überarbeitungen entstand seine ausdrucksstarke Werkgruppe der ›Body Poses‹, einige Blätter sind auch hier in der Ausstellung zu sehen. Die meisten der zugrundeliegenden Aufnahmen realisierte der ursprünglich als Reprofotograf engagierte Alexander Prinzjakowitsch nach einem eingespielten Prozedere, das Rainer durch die genaue Planung seiner Inszenierung, der Auslösemomente, der Blickwinkel sowie durch spätere Auswahlverfahren definierte. Als Rainer anfangs noch mit diesen Parametern experimentierte, beschäftigte er auch Cora Pongracz. Im Nachlass haben sich insgesamt 130 ihrer Mittelformataufnahmen der ›Fotoséancen‹ erhalten, an denen wiederum deutlich wird, dass Rainer an einem Repertoire bestimmter Positionen und Gesten arbeitete, das er sehr präzise wiederholen konnte. So zeigen einzelne der von Pongracz fotografierten Körperposen eine verblüffende Übereinstimmung mit jenen von Prinzjakowitsch aufgenommenen (allerdings sind mir bislang sind keine Überarbeitungen von Pongracz Aufnahmen aus dieser Serie bekannt).

Eine letzte Werkgruppe von Arnulf Rainer, für die Cora Pongracz bei der fotografischen Dokumentation zum Einsatz kam, waren dessen Kooperationen mit Dieter Roth ab 1973. Im spontan-reaktiven Zusammenspiel entstanden viele bildnerische Arbeiten, in denen sich die ›Handschriften‹ von Rainer und Roth und die Abfolgen ihrer wechselseitigen Einflussnahmen oder der Urheber einer jeweiligen Intervention nachträglich kaum mehr erkennen lassen. Dieses Kräftespiel wurde zudem in Aktionen geübt, deren fotografische Ergebnisse auch zur späteren Überarbeitung verwendet wurden.

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer und Dieter Roth, ›Misch- und Trennkunst‹, Wien 1974/75. Silbergelatineabzug, Edition OstLicht, 2015, Inv.-Nr. 57-09303.

Eine der ersten Aufnahmeserien einer solchen Aktion in Rainers Atelier stammt von Cora Pongracz, und diesmal fanden ihre Aufnahmen sehr wohl Verwendung für Überarbeitungen und wurden in dieser Form auch mehrfach publiziert, zunächst im zeitgenössischen Ausstellungskatalog ›Misch- und Trennkunst‹; dort erschien auch jener Text von Arnulf Rainer über die Kollaboration mit Dieter Roth mit der Überschrift ›Duette, Duelle‹, auf den der Titel dieser Ausstellung zurückgeht. Im Negativnachlass von Pongracz befinden sich etwa 70 Kleinbild-Negative aus dieser Auftragsarbeit.

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer und Dieter Roth, ›Misch- und Trennkunst. Autonom-dialogische Thematik‹, Vorder- und Rückseite der Hülle einer Langspielplatte mit Tonaufnahmen während einer Mal-Session, Brüssel und Hamburg: Lebeer-Hossmann, 1978

Ihre Aufnahmen illustrieren etwa auch die Hülle einer Langspielplatte mit Tonaufnahmen, die während dieser Gemeinschaftsarbeiten entstanden waren und 1978 unter dem Titel ›Autonom-Dialogische Thematik‹ aufgelegt wurden – eine Formulierung, in der sich das Bemühen um Kommunikation und Zusammenarbeit wie auch um Selbstbehauptung widerspiegelt.

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer und Dieter Roth, ›Misch- und Trennkunst‹, Wien 1974/75. Vier Silbergelatineabzüge, Edition OstLicht, 2015, Inv.-Nr. 57-09303­–9306.

Da Pongracz bei den erwähnten Veröffentlichungen ihrer Bilder nicht als Fotografin genannt wurde, geriet ihre Mitarbeit in der späteren Rezeption dieser Werkphase in Vergessenheit. Dies ist von besonderer Signifikanz, denn es zeugt vom spezifischen Verhältnis von Kunst und Fotografie in jener Zeit: Wenn sich performativ arbeitende Kunstschaffende der fotografischen Aufzeichnung bedienten, hatten die entstehenden Aufnahmen jeweils ganz verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Um diese Bandbreite grob zu umreißen, verweise ich auf Beispiele aus dem Wiener Aktionismus.

So setzte etwa Günter Brus in seiner Aktion ›Zerreißprobe‹ die Fotografie ein, um ein einmaliges, für Publikum stattfindendes Ereignis zu dokumentieren; das Foto diente dann gleichsam als Ersatz für die Teilnahme oder als Erinnerungsstütze. Eine andere Funktion sehen wir bei Hermann Nitsch, wenn er einzelne Elemente seines Orgien-Mysterien-Theaters fotografisch festhalten ließ, um sie später genau wiederholen zu können, etwa seine Körpercollagen bzw. sogenannten ›Penisbespülungen‹. Hier kommt der Fotografie eine ähnliche Funktion zu, wie einer Partitur oder visualisierten Werkkonzeption.

HERMANN NITSCH, 14. Aktion, 1965 (Foto: Franziska Cibulka)  |  RUDOLF SCHWARZKOGLER, 6. Aktion, 1966 (Foto: Michael Epp)

Eine dritte Möglichkeit, die Rudolf Schwarzkogler ab 1965 praktizierte, sieht nun im fotografischen Bild die wesentliche künstlerische Manifestation, wobei die aufgenommene Inszenierung nur für die Kamera entsteht; die Settings gestaltet Schwarzkogler so, dass allzu Spezifisches, wie etwa die Beschaffenheit der genutzten Räume, verdeckt wird oder außerhalb des Ausschnittes liegt. Das bildliche Resultat repräsentiert somit ein abstrakt-symbolisches und dennoch realitätsnahes Szenario. Mit dieser wesentlichen Rolle des fotografischen Bildes, auf dessen Gestaltung der Künstler nun deutlich mehr Einfluss nimmt als im Kontext einer Reportage-haften Aufzeichnung, beansprucht dieser die Autorenfunktion allein, während der Fotograf oder die Fotografin häufig ungenannt bleiben.

In ähnlicher Weise setzt Arnulf Rainer die Fotografie ein, wenn es für ihn vor allem relevant ist, dass der exakte Moment seiner gelungenen Grimasse oder Position möglichst vor neutralem Hintergrund als Bild erfasst wird und dass diese Bildwerdung genau nach seinen Anweisungen erfolgt. Diese In-Dienstnahme der Fotografie durch die Nachkriegsavantgarde basiert auf wesentlichen Implikationen des Mediums, die in den 1960er Jahren die Wahrnehmung noch stärker prägten als heute: v.a. die journalistische Fotografie wurde als ein von der Kunst geschiedenes Gewerbe gesehen und ihre Ergebnisse weniger als ästhetische oder medientechnisch konstruierte Gebilde, denn als Wirklichkeitsspeicher. Deshalb wurde sie zu einem idealen Instrument für die Kunst und die beauftragten FotografInnen wurden nicht als Bild-MitautorInnen gesehen. Aus heutiger Sicht auffällig sind auch die damaligen genderpolitischen Verhältnisse: aufseiten der Kunst sehen wir vorwiegend männliche Protagonisten, aufseiten der Fotografie oft weibliche Dienstleisterinnen.

CORA PONGRACZ, Arnulf Rainer und Dieter Roth, ›Misch- und Trennkunst‹, Wien 1974/75. Silbergelatineabzug, Edition OstLicht, 2015, Inv.-Nr. 57-09307.

Aber zurück zu Cora Pongracz und Arnulf Rainer, mit einem letzten Beispiel aus ihren Aufnahmen von ›Misch- und Trennkunst‹. Es stammt aus einer Sequenz mit Posen, die an einen Kampf von Ringern erinnern, wobei sich allerdings die Gegenspieler gleichsam verfehlen und auch dem Betrachterblick ausweichen. Ein Bild dieser Sequenz wurde 1975 im Katalog der großen Ausstellung ›Kunst aus Sprache‹ (herausgegeben von Peter Weiermair, Peter Weibel und Friedrich Achleitner) zu Rainers Biografie veröffentlicht.

Anhand dieser Publikation des Museums des 20. Jahrhunderts (heute: mumok) lässt sich unsere Betrachtung von Cora Pongracz’ Zusammenarbeit mit Arnulf Rainer abschließen: Ebenso wie 1969 bei den Grimassen-Aufnahmen am Retzhof, fungierte auch dieses zur Dokumentation einer performativen Inszenierung entstandene Foto für die Bildstrecke in einem biografischen Kataloganhang. Höchstwahrscheinlich war es Rainer selbst, der die Entscheidung traf, es als Genre-untypisches Künstlerporträt abdrucken zu lassen, was strenggenommen einer Grenzüberschreitung gleichkommt. Es ist genau jenes spannende Feld zwischen Inszenierung und Dokumentation oder posierendem Rollenspiel und wahrhaftigem Charakterporträt, in dem Cora Pongracz ihre freie, fotokünstlerische Arbeit ansiedelte.

 

Porträtprojekte von Cora Pongracz

Ab Anfang der 1970er arbeitet sie an verschiedenen Projekten, in denen sie die fotografische Wiedergabe von Personen auf jeweils spezifische Weise erweitert. In mehrteiligen Porträtserien hinterfragt sie den Anspruch auf authentische Repräsentation sowie Machtverhältnisse: so durchbricht sie die traditionelle Dreiecksbeziehung zwischen Kamera, Modell und Fotograf, indem sie ihre Bildautorschaft ein Stück weit mit den Porträtierten teilt, denen sie entweder maßgeblichen Einfluss auf das Bildsujet zugesteht oder mitunter auch die Kamera in die Hand gibt; außerdem versucht sie, durch die Wahl und Präsentation ihrer Motive, genderpolitische Ungleichheit zurechtzurücken. Und schließlich richtet sie in ihrem umfangreichsten Projekt die Aufmerksamkeit auch auf die Rolle von Mimik, Posing und Ironie für die ›Lesearbeit‹ bei der Rezeption von Porträtbildern.

CORA PONGRACZ, Franz Ringel, Doppelseite aus ›Franz Ringel – Martha Jungwirth. Photographiert von Cora Pongracz‹, mit einem Gedicht von Alfred Schmeller, Wien: Tusch-Druck, 1972

Für die Wiener Secession entstand 1972 eine Publikation, die sich zwei Mitgliedern der Gruppe ›Wirklichkeiten‹, Franz Ringel und Martha Jungwirth, widmet. Pongracz stellt hier einen Künstler und eine Künstlerin gleichberechtigt gegenüber, und zwar im buchstäblichen Sinne, indem das Buch aus zwei selbständigen, gegenläufig gebundenen Bildessays besteht, sodass es zwei Covers hat und von zwei Seiten zu öffnen ist. Sie sehen hier eine Doppelseite aus dem Teil über Franz Ringel, die Aufnahmen zeigen ihn in seiner Wohnung mit seiner Frau Erika und bei Praterbesuchen. Das Layout mit stark variierenden Bildgrößen und -ausrichtungen ist für die damalige Zeit eher außergewöhnlich, ebenso der Mix von reportagehaften Sequenzen und assoziativeren Bildkonstellationen. Insgesamt entspricht diese Publikation jedenfalls mehr dem Typus eines künstlerischen Fotobuches als einem Katalog.

CORA PONGRACZ, Martha Jungwirth, Doppelseite aus ›Franz Ringel – Martha Jungwirth‹, Wien 1972 (o.P.)

Ringels Essay spielt überwiegend im Privaten, während Jungwirth auch beim feierlichen Eröffnen einer Ausstellung im 20er-Haus aufgenommen wurde. Martha Jungwirth war die einzige Frau in der Gruppe ›Wirklichkeiten‹. Trotz unübersehbarer Unterschiede in der künstlerischen Herangehensweise der Mitglieder, proklamierten sie alle eine gesellschaftlich relevantere, realistische Malerei, die sich dem damals dominierenden Informel entgegenstellte. Zum Zeitpunkt der Aufnahme arbeitete Jungwirth an Zeichnungen von hochhakigen Damenschuhen, die stilistisch der Pop Art nahestehen (und sich deutlich von der Ästhetik ihrer späteren Bilder unterscheiden), rechts oben sehen Sie eine ihrer Zeichnungen.

CORA PONGRACZ, Martha Jungwirth und Alfred Schmeller et al., Doppelseite aus ›Cora Pongracz. Das fotografische Werk‹, hg. von Marie Röbl und Peter Coeln, Fotosammlung OstLicht, Wien: Schlebrügge 2016, S. 94/95.

Eine Doppelseite aus unserem Buch zum Werk von Cora Pongracz zeigt einige weitere Aufnahmen aus diesem Bildessay mit Martha Jungwirth, wo etwa mit einem lustvollen Kick gegen die Kamera das Schuhthema variiert wird, in den kleineren Bildern ist auch ihr bereits erwähnter Ehemann Alfred Schmeller, Direktor des Museums des 20. Jahrhundets, in Unterwäsche erkennbar.

Zwei Jahre später, 1974, präsentiert Pongracz ›8 erweiterte portraits‹ in einer Ausstellung sowie einem Buch. Die acht repräsentierten Frauen werden nicht namentlich genannt. Als in der damaligen Wiener Kunstszene bekannte Personen sind sie aber leicht identifizierbar, wie etwa die Künstlerin Trude Ernst-Rindt, die seit der Schulzeit mit Pongracz befreundete Lore Kuntner, damals Painitz, heute Cocolore, die Soziologin Mira Csarmann, oder Christiane Dertnig, die den legendären Club Vanilla betrieb.

Statt essayistischer Bildfolgen gibt es hier nun ein strenges, formelhaftes Konzept. Dafür erstellt Pongracz zunächst jeweils zwei Porträtaufnahmen, die in arrangierten Sitzungen im privaten Kontext nach den Wünschen der Protagonistinnen entstanden und sich in Ausdruck und Setting mitunter stark unterscheiden.

CORA PONGRACZ, Christine Dertnig, aus ›8 erweiterte portraits‹. Mit einem Text von Reinhard Priessnitz, Wien: Löcker & Wögenstein 1974 (o.P.)

Im ersten Porträt wirkt etwa Christiane Dertnig mit straff gebundenem Haar und in etwas angespannter Sitzposition ernst und konzentriert, das zweite Mal posiert sie als Vamp mit offenem Haar und in leger-selbstbewusster Haltung. Dieses ungleiche Bilderpaar kombiniert Pongracz nun mit fünf assoziierten Motiven, die die Porträtierten vorgaben, indem sie der Fotografin ihre Lieblingsorte, Lebenspartner, Kinder oder Gegenstände und Unternehmungen von individuell besonderer Bedeutung nannten. Im Fall von Dertnig ist das ein Blick aus ihrer Dachwohnung auf den Stephansdom, ein fröhlicher Heurigenbesuch im Freundeskreis (darunter übrigens auch Reinhard Priessnitz), ihre Tochter Carola Dertnig, das Palmenhaus und das Stundenhotel Orient, das damals die sexuelle Revolution repräsentierte.

CORA PONGRACZ, Mira Csarmann, aus ›8 erweiterte portraits‹, Wien 1974

Im erweiterten Porträt von Mira Csarmann gibt es ebenfalls jenen Kontrast im einleitenden Bildnispaar – Mira ist einmal mit Zigarette im Stiegenhaus stehend gezeigt, wobei sie Rauch aus der Nase bläst und ihr nacktes Knie in die Kamera hält; dann in gebeugter Gebetshaltung mit gefalteten Händen. Die fünf assoziierten Motive zeigen einen Käfig im Zoo mit schlafendem Tiger, die Schwester der Protagonistin beim Essen eines gekochten Eis, den Treppenabsatz eines abgewohnten Zinshauses, die Rückseite des Wittgenstein-Hauses und schließlich eine Aufnahme von Cora Pongracz.

Ob Pongracz auf Verlangen von Mira ein Selbstporträt einfügte oder sogar letztere selbst fotografierte, wissen wir nicht. Auch die spezifische Bedeutung, der Bezug zwischen der jeweils fotografierten Frau und den von ihr genannten Motiven, bleibt meist im Dunklen, wie auch der genaue Wortlaut, mit dem die Porträtierten ihre Motivwünsche äußerten, nicht überliefert ist. Das Vorgehen von Pongracz lässt sich jedenfalls als ein medienreflexives Experiment beschreiben, in dem die Bedingungen begrifflicher Vermittlung und fotografischen Darstellens auf ihre Grenzen und Brauchbarkeit hin abgeklopft werden – somit ist es wohl kein Zufall, wenn Wittgensteins Name in der Aufzählung der Motive gefallen ist, in dessen Philosophie ja gerade das Sprachspiel eine wichtige Rolle spielt.

CORA PONGRACZ, »verwechslungen«. einzelphotos und serien. Mit einem Text von Reinhard Priessnitz, hg. von Rosemarie Schwarzwälder / Galerie nächst St. Stephan, Wien 1978, Cover

Ab 1977 entsteht schließlich ein Projekt mit dem Titel »verwechslungen« (die Guillemets gehören zum Titel, wie auch die Kleinschreibung!), ein Kompendium an verschiedenen Facetten der fotografischen Personendarstellung, das diese Fragestellungen weiter verfolgt. Es war die erste Ausstellung der Galerie nächst St. Stephan nach der Übernahme der Leitung durch Rosemarie Schwarzwälder, dazu erschien ein Katalog mit einem Text von Reinhard Priessnitz und Abbildungen von 23 Serien. Diese mehrteiligen Porträts sind nun nicht nach einem zuvor festgelegten, einheitlichen Konzept organisiert, sondern folgen individuellen Mustern. Das heißt, dass die Anzahl der Motive innerhalb einer Serie, sowie die Formate und Konstellationen der Bilder variieren. Dargestellt sind Literatur- und Kunstschaffende oder Personen aus Pongracz’ weitläufiger Verwandtschaft, wiederum alle ohne Namensnennung. Am Covermotiv verwendet sie ein Doppelporträt mit einem technischen Fehler, der die Gesichter der zwei Personen unkenntlich macht.

CORA PONGRACZ, Engelbert Obernosterer / Liesl Ujvary, Doppelseite aus »verwechslungen«, Wien 1978 (o.P.)

Manche Serien folgen auch in der finalen Auswahl der Chronologie der Aufnahme und zeigen so gleichsam filmische Abläufe, wie das 6-teilige Porträt der experimentellen Schriftstellerin Liesl Ujvary; sie blickt in keinem einzigen Fall zur Kamera, in drei Bildern hat sie die Augen überhaupt geschlossen. Im Porträt des Kärntner Schriftstellers Engelbert Obernosterer ist seine Frau in drei Aufnahmen als Hauptmotiv im Bild.

CORA PONGRACZ, Ernst Jandl, aus »verwechslungen«, Wien 1978

In der Serie mit Ernst Jandl hat dieser eine Kamera in der Hand und fotografiert stehend oder auf einem Regiestuhl sitzend in alle Richtungen, während umgekehrt er selbst von Pongracz von allen Seiten fotografiert wird. Dieses reziproke Setting zeigt uns quasi eine der titelgebenden Verwechslungen: die Rollen von Bildautor und Modell, bzw. Fotografin und Porträtiertem wurden getauscht; zudem wird die essenzielle Rolle des Blickwinkels und bestimmter davon abhängiger Effekte, wie jene von Gegenlicht oder Blendung, durchgespielt.

CORA PONGRACZ, Elfriede Gerstl, aus »verwechslungen«, Wien 1978

Als Themenrahmen führt Reinhard Priessnitz im Katalogtext die ›ironische Selbstdarstellung‹ an, und das vierteilige Porträt der Literatin Elfriede Gerstl illustriert dies paradigmatisch: In der Aufnahme rechts unten blickt sich mit verschmitzt-schelmischem Lächeln in die Kamera. Im Foto darüber zeigt sie dagegen skeptische Ernsthaftigkeit. Und in einem weiteren Bild ist sie in einem Spiegel zu sehen, der ihr Antlitz – es könnte metaphorisch kaum treffender sein – durch Schlieren fast unkenntlich macht; Herbert Wimmer ist in einer Aufnahme mit verschattetem Kopf im Hintergrund zu sehen, während Gerstl ihre Augen vor dem starken Lichteinfall schützt.

      

CORA PONGRACZ, Franz West / Sheila Kronheim, Details einer Doppelseite aus: »verwechslungen«, Wien 1978 (o.P.)

Zwei fünfteilige Porträts stehen sich in der Publikation auf einer Doppelseite gegenüber, jene mit Franz West und Sheila Kronheim. Pongracz fotografierte Sheila, die Tochter der Künstlerin Auguste Kronheim, beim Ballspielen und hielt deren neugierige wie auch nachdenkliche Reaktion auf die Kamera fest, aber auch Momente, in denen das Mädchen die Fotografin ignoriert. Im Hintergrund spielt Sheilas jüngerer Bruder ebenfalls Ball – ob tatsächlich mit seiner Schwester oder nur neben ihr, ist nicht klar; auf jeden Fall sind zwei Bälle im Spiel (einer mit Punkten und ein Fußball). Das Motiv dieses Ballspiels verdeutlicht jene Beziehungsstrukturen, die Cora an der Porträtsituation interessieren: Ein Mitspieler kann klar anvisiert werden, aber er – wie manchmal auch der Ball selbst – führen ein ›Eigenleben‹, und Schüsse können daneben gehen oder verfehlt werden, absichtlich oder unabsichtlich.

Im Gesamtzusammenhang der »verwechslungen« wird deutlich, dass Pongracz in diesem Projekt eine vielgestaltige Palette an je spezifischen Reaktionen der Dargestellten auf ihr Fotografiert-Werden festhielt. In ihrer Aufnahmepraxis eröffnet sie einen Spielraum, in dem zufällige wie gewollte Gegebenheiten, unbewusste Äußerung und absichtsvolles Agieren, ob vom Modell in alleiniger Entscheidung gesetzt oder von der Fotografin nahegelegt, gleichermaßen bildwürdig sind.

Ein Beispiel einer bewussten Inszenierung entstand mit Franz West, der zur Entstehungszeit dieser Aufnahmen übrigens seine erste Ausstellung hatte. Er posiert auf einer Terrasse des Karl-Marx-Hofes mit Feigenkakteen. Zwischen Liegen und Lümmeln, teils mit geschlossenen Augen, sind seine Körperpositionen in den fünf zugehörigen Bildern Anti-Posen – das Gegenteil von Haltung, wie man sie typischerweise für ein Porträtfoto einnähme. Mehrfach erscheint ein Kaktus in unmittelbarer Nähe zu Wests Ohr, womit wohl auch auf die Bezeichnung ›Ohrwaschlkaktus‹ angespielt wird. Dabei gedeiht die Absurdität der Inszenierung doch an der Grenze zur Beiläufigkeit; der hintersinnige Witz und die unprätentiöse Umsetzung erinnern an Aufnahmen, in denen West die Handhabung seiner wichtigen Werkgruppe der ›Passstücke‹ – unter anderem auch von Cora Pongracz – dokumentieren ließ. Die Bezeichnung der ›Passstücke‹, jenen Pappmache-Objekten, die man als materialisierte Neurosen am oder um den Körper tragen soll, wurde übrigens durch Coras Ehemann Reinhard Priessnitz angeregt.

Dieser schrieb in seinem Text zu den »verwechslungen« über Pongracz’ Arbeitsweise: ›Sie zersplittert die in der Fotografie landläufig postulierten identifikatorischen Bezüge mehrfach und eröffnet damit der Wahrnehmung Aspekte, aus denen wir schon erarbeiten müssen, ob sie mit der Vorlage aus einer Absicht heraus als identisch anzusehen seien oder weil unsere Intention dies so wolle. Kurz, es sind Bilder, die unser Selbstverständnis als einer Konvention verdächtig machen und der Unzulänglichkeit unserer Interpretationsarbeit bezichtigen‹.

Dass Pongracz die Einlösbarkeit des Anspruchs eine Person fotografisch ›eindeutig‹ lesbar zu machen in Zweifel zieht, deutet nicht zuletzt ihr Titel »verwechslungen« an. Sie verweist damit auf Fallen, die den Akt der Identifikation beeinträchtigen können, wie Verkennen oder Missverständnisse. Zum anderen hinterfragt sie die Autorität von fotokünstlerischer Autorschaft oder die Rolle von Fotografin und Modell – beide Darstellerinnen in unterschiedlicher Bedeutung des Begriffes, beide Vermittlerinnen für mehr als begrifflich Fassbares. Es sind die für die Neoavantgarde der Nachkriegszeit kritischen Figuren von Identität und Subjekt, deren instabile Verfasstheit hier zur Disposition steht.

Und hier schließt sich der Kreis zu Arnulf Rainers Grimassenfotos. Denn auch Rainer geht es in den ›Face Farces‹ nicht um Selbstvergewisserung oder ein Herausarbeiten von wesentlichen Merkmalen seiner Person – vielmehr verweigert er sich durch seine Selbstdarstellung als von starken Affekten Gezeichneter genau jenem Akt einer affirmativen Botschaft (im Sinne von ›Schaut mich an, so bin ich!‹), wie sie ein klassisches Studioporträt als Charakterbildnis darstellt. Grimassen – vielleicht Gesichtszüge überhaupt – werden als eine Sprache entlarvt, die eine Person auch zu konterkarieren, auszulöschen vermag.

Besonders in den »verwechslungen« ist Cora Pongracz dieser Sprache und den durch sie transportierten Täuschungen ebenfalls auf der Spur, wobei sie freilich als Fotografin aus einer Perspektive arbeitet, bei der das je konkrete Erscheinungsbild einer Person und sein Zustandekommen im Aufnahmeakt stärker im Fokus stehen als bei Rainer, für den affektive Aspekte und Impulse gemeinhin wichtiger sind. Aber sowohl Pongracz als auch Rainer hinterfragen in ihrer künstlerischen Arbeit die Instanz der Autorschaft: Rainer etwa, indem er sich mit Dieter Rot auf das Feld des Spiels ›Misch- und Trennkunst‹ begibt, das in einem kollaborativen Schaffensprozess die wechselseitige Einflussnahme so weit treibt, bis die jeweiligen Äußerungen in Zeichnungen oder Gesängen ununterscheidbar werden. Und Pongracz gibt als Fotografierende zentrale auktoriale Maßnahmen und Mittel, wie etwa die Motivwahl oder sogar die Kamera, an die porträtierten Personen weiter. Es gibt also unabhängig vom Rahmen professioneller Auftragserfüllung auch punktuelle Berührungen von Arnulf Rainer und Cora Pongracz in den jeweils verfolgten künstlerischen Interessen und Arbeitsweisen, die die beiden über unübersehbare Unterschiede hinweg verbinden.