Heinz Cibulkas ›Poesie der Tatsachen‹

Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung ›Luise Cibulka-Kubelka / Heinz Cibulka: bodenständiges umfassend‹ in der Galerie im Park, Wien, Liniengasse, 13.6.2022–25.6.2022 (hier gekürzt)

Einladungskarte. Ausstellungskonzept und Umsetzung: Luise Cibulka-Kubelka (https://www.cibulka-kubelka.at/bodenstaendiges-umfassend/)

 

Vorbemerkung

Für die Einladung, hier zu den Exponaten von Heinz Cibulka zu sprechen, gilt mein herzlicher Dank Luise Cibulka-Kubelka, die diese Ausstellung nicht nur als Künstlerin, sondern auch als Kuratorin so überzeugend gestaltet hat. Heinz Cibulka habe ich kennengelernt, als er seine große Retrospektive vorbereitete, die 2012 unter dem Titel ›Im Takt von Hell und Dunkel‹ im Hermann-Nitsch-Museum in Mistelbach stattfand. Für den Katalog dazu hat Heinz mich damals beauftragt, einen Text zu seinen fotokünstlerischen Arbeiten zu verfassen. Diesen widmete ich dem Bildgedicht, jener künstlerischen Strategie, die er 1974 entwickelt hatte und mit Unterbrechungen bis heute verfolgt.

2012 bekam ich zudem die Möglichkeit, im WestLicht Heinz Cibulkas Ausstellung ›Stadtquartette‹ zu kuratieren, die sich seinen urbanen Bildgedichten und Collagen widmete. Vor dem Hintergrund der Sammlung am WestLicht (heute: Fotosammlung OstLicht am Ankerbrotareal), die einen umfangreichen Bestand an Fotografie des Wiener Aktionismus beheimatet, lag es nahe, auch das Jahrzehnt von 1965 bis 1975 in die Präsentation einzubeziehen – denn in diesen Jahren, weitgehend vor der Aufnahme seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit, hatte sich Heinz Cibulka an Aktionen von Rudolf Schwarzkogler und Hermann Nitsch beteiligt. Als sogenannter ›passiver Akteur‹ prägte er damit in seinen Zwanzigern die Rezeption des Wiener Aktionismus wesentlich, wobei er entscheidende Impulse für seine Lebenshaltung und Kunstauffassung bekam. Es war übrigens in der Stadtquartette-Ausstellung, wo ich Heinz’ Tochter Luise erstmals getroffen habe, und zwar vor einer Fotografie mit einem Akazienbaum, auf die ich nachher noch genauer eingehe. Meine nun folgenden Ausführungen gliedern sich in fünf Abschnitte.


Akteur

Luise wurde in jenem Jahr geboren, in dem ihr Vater zum ersten Mal an einer Aktion mitwirkte. Das war Schwarzkoglers Aktion ›Hochzeit‹, abgehalten in einer Wohnung in der Wiener Kaiserstraße 16, die die Cibulkas kurz davor bezogen hatten. Hier führte Schwarzkogler im Laufe des Jahres 1965 insgesamt vier Aktionen mit bzw. an Heinz Cibulka als Modell durch; die beiden hatten dieselbe Klasse an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt (damals noch an der Westbahnstraße im 7. Bezirk) besucht und es war Schwarzkogler, der Cibulka auch die anderen Aktionisten vorstellte. Im Juni desselben Jahres war Heinz dann erstmals auch Akteur für Hermann Nitsch, bei dessen 12-stündiger neunter Aktion. Sie fand großteils in Stammersdorf statt, eine Aufnahme daraus sehen Sie am Cover des Kataloges ›Mein Körper bei Aktionen von Nitsch und Schwarzkogler‹.

HEINZ CIBULKA, Mein körper bei aktionen von Nitsch und Schwarzkogler / Il mio corpo nelle azioni di Nitsch e Schwarzkogler 1965–1975. Mit Texten von Heinz Cibulka und Hermann Nitsch, Neapel: Morra 1977

In den folgenden Aktionen widmete sich Hermann Nitsch Körpercollagen in Form der sogenannten ›Penisbespülung‹, einem essentiellen dramaturgischen Element seines Orgien-Mysterien-Theaters, das er in zahlreichen kleineren Aktionen ausformulierte, zunächst mit Schwarzkogler als Akteur, dann unter der Mitwirkung von Cibulka in der Kaiserstraße. Die allermeisten der hier abgehaltenen Aktionen wurden von Franziska Cibulka, der damaligen Ehefrau von Heinz und Mutter von Luise, fotografiert.

HERMANN NITSCH, 14. Aktion, 29.9.1965 / RUDOLF SCHWARZKOGLER, 4. Aktion, 18.12.1965; beide Aktionen gestalteten Heinz Cibulka als Akteur und Francisca Cibulka als Fotografin, und beide fanden in ihrer gemeinsamen Wohnung in der Wiener Kaiserstraße 16 statt; Abb. aus oben zitiertem Buch (o.P.)

1967 erfolgte der Umzug der Cibulkas hinaus aus den engen und stadtgrauen Wiener Sphären nach Königsbrunn im Weinviertel. Cibulka war unter den Ersten aus den damaligen Kreisen der Wiener Avantgarde, die diesen Schritt unternahmen (Nitsch und Mühl bezogen ihre ländlichen Residenzen erst nach 1970 und im Laufe des Jahrzehntes kamen viele weitere nach).


Land-Alphabete

Für den in der Stadt aufgewachsenen Heinz Cibulka brachte das Landleben die Erfüllung eines früh empfundenen Bedürfnisses, das sich durch die Erfahrungen im Aktionismus verstärkt hatte; und es war in Königsbrunn, wo er seine künstlerischen Ambitionen in ersten Arbeiten zu entwickeln begann. Dabei war der Umgang mit jener sinnlichen Materialfülle wesentlich, wie sie etwa der Gemüseanbau, aber auch die Präsenz von Viehzucht oder Weinbau in der unmittelbaren Umgebung mit sich bringen. So kristallisierten sich bestimmte Interessensbereiche heraus, wie beispielsweise die Auseinandersetzung mit Prozessen und Handlungen im Kontext der Nahrungszubereitung sowie mit sozialen oder religiösen Ritualen und Räumen, oder allgemeiner die Beschäftigung mit Kulturlandschaft und ihren lokalen Lebensbedingungen.

In seinen Ausdrucksformen legte er sich zunächst nicht fest, es entstanden Malerei, Dichtung, Installationen, Materiacollagen, Objektbilder und Performances. In dieser multimedialen Arbeitsweise entwickelte Cibulka eine durchgängige künstlerische Haltung sowie gattungs- und medienübergreifende Methoden, die seine Anliegen vermitteln. Eines seiner zentralen poetischen Verfahren besteht darin, Wirklichkeitselemente in einer gezielten Sammelarbeit zu erfassen und anschließend zu arrangieren, also ein spezifisches Montageverfahren, für das ihm Peter Kubelka entscheidende Anregungen gegeben hatte. Dieses setzte er beispielsweise in Prozessions- oder Kompostier-Performances ein, die von lyrischen Texten begleitet wurden, oder eben in den fotografischen Bildgedichten, die 1983 in einem ersten umfassenden Buch mit dem Titel ›Land-Alphabete‹ publiziert wurden. Bevor ich näher auf diese eingehe, möchte ich auf seine früheste Arbeit hier in der Ausstellung zu sprechen kommen.


Foto-Aktion

Im Jahr 1973 führte Heinz im Garten seines Hauses in Königsbrunn eine Foto-Aktion durch, eine Performance ohne Publikum, die über die fotografische Aufzeichnung vermittelt wird; der Titel des hier gezeigten Blattes lautet ›Akazienblüten zum Brustkorb gezogen‹, als Akteurin sehen wir Luise im Alter von etwa 9 Jahren.

HEINZ CIBULKA, Akazienblüten zum Brustkorb gezogen, Königsbrunn 1973. Digitale Modifikation eines C-Prints, ca. 45 x 30 cm; unterschiedliche Szenarien dieser Performance wurden anhand von Mittelformataufnahmen dokumentiert, außerdem entstanden Materialbilder mit getrockneten Akazienblüten

Zur Blütezeit des Baumes steht Luise am schmalen Stamm einer jungen Akazie, in botanischer Bezeichnung eine Robinia Pseudoacacia. An einige der Zweige wurden Schnüre gebunden, deren Enden Luise zunächst mit beiden Händen hält, was den Eindruck vermittelt, sie hätte eine Art Blütenschirm über sich aufgespannt. In der nächsten Anordnung, wie sie im hier ausgestellten Foto zu sehen ist, sind Luises Augen verbunden und eine weitere Binde umfasst ihren Brustkorb, wo nun die an den Ästen befestigten Schnüre zusammengespannt sind. Das Motiv der Blindheit in ›Akazienblüten zum Brustkorb gezogen‹ verweist darauf, dass diese Blüten sich besonders durch einen starken Duft auszeichnen. Signifikant ist auch die Stelle am Brustkorb, wo die Schnüre zusammenlaufen, nämlich dort, wo die Thymusdrüse sitzt. Das altgriechische Wort Thymos bedeutet in deutscher Übersetzung sowohl ›Lebenskraft‹ wie auch ›Erregung‹, was sich auf die Immunzellen bezieht, die in dieser Drüse während der Wachstumsphase aktiviert werden. Der Zug der elastischen Äste hebt die Brustbinde leicht an, aber der feste Stand des Mädchens zeigt, dass hier keine starken physikalischen Kräfte wirken, als vielmehr eine mit sanfter Spannung ausponderierte Balance, die besonders als Bild ihre Effekte entfaltet.

Die in dieser Arbeit eingesetzten Mullbandagen erinnern an aktionistische Settings – aber noch deutlicher zeigt ›Akazienblüten zum Brustkorb gezogen‹, worin sich Cibulkas Kunst davon unterscheidet: Während Schwarzkogler seine Foto-Aktionen mit Elektrokabeln und abstrakten geometrischen Elementen in einer zeitlos-anonymen Laborsituation verortet, siedelt Cibulka sein Arrangement in der Konkretheit des eigenen Gartens an. Und während Nitsch Kadaver und Blutwasser zur Steigerung des Erlebens ins Exzessive einsetzt, sind hier die zentralen Elemente die unmittelbare Alltagsumgebung (im Hintergrund sieht man eine Sandkiste), eine lebendige Pflanze und die eigene Tochter. Was hier wirkt, ist nicht die enigmatische, bedrückende oder verstörende Symbolkraft der ersten Aktionisten-Generation, sondern eine eher spielerische Verbindung zweier junger Lebewesen, eine Verbindung im buchstäblichen Sinne, die als Bild ihre Poesie entfaltet, ähnlich einer Fabel.

Zur Zeit der Entstehung dieser Foto-Aktion hatte Cibulka eben erst begonnen, die Fotografie als ein für ihn brauchbares Medium zu nutzen; ein Jahr zuvor, 1972, war mit dem sogenannten ›Stammersdorf-Fries‹ eine erste Fotoarbeit entstanden, mit 50 Schwarzweiß-Abzügen, Abschriften von Heurigengesprächen und einer performativen Präsentation mit Bewirtung und Musik. Kurz darauf beginnt Cibulka damit, was eine ›katalogisierende Spurensuche‹ genannt wurde, eine Art Sammlung von fotografisch festgehaltenen, eindrücklichen Blicken auf das Landleben. Diese dienen als Bausteine für seine Bildgedichte, auf die ich nun eingehen möchte.


Bildgedicht

Die Bildgedichte entstehen in Gruppen, die sich jeweils einem bestimmten Themenfeld widmen, wie beispielsweise der Werkzyklus ›Donauraum‹ aus den späten 1980er-Jahren, der hier ausgestellt ist. Zunächst erarbeitet sich Heinz Cibulka eine Menge an Einzelaufnahmen, einen Bilder-Pool, aus dem eine kleine Auswahl für die Vierer-Blöcke kombiniert wird, wobei nicht entscheidend ist, ob ein Bild technisch gelungen ist. Bei der Aufnahme folgt er bewusst keinen professionellen Konventionen, wie sie etwa die ethnografische Dokumentation oder der humanistische Fotojournalismus vorgeben. Anklänge einer solchen Orientierung fand man noch in den Aufnahmen zum Stammersdorfer-Fries, doch mit den Farbbildern für die Bildgedichte wandelt sich seine Bildsprache und weicht auch stark von der zeitgleichen künstlerischen Fotografie ab, wie beispielsweise subjektiver Autorenfotografie oder auch von den spröden Schwarzweißaufnahmen, wie sie in der Konzeptkunst Einsatz fanden.

Stattdessen zielt er auf eingängige Motive, von denen viele sinnliche, teils synästhetische Assoziationen evozieren, Erinnerungen an Gerüche, Geschmack oder auch Schmerz-, Ekel- oder Lust-Empfindungen. Sein Zugriff mit der Kamera erfolgt meist aus geringer Distanz, sodass das Aufgenommene bildfüllend oder im Zentrum des Bildes gezeigt wird; mitunter fotografiert er auch intuitiv, dann entstehen unscharfe Bilder, in denen Motive oder Umgebung wie aus dem Augenwinkel, gleichsam im Vorübergehen aufgenommen sind und eine Stimmung transportieren. Außerdem kommt es auch vor, dass er Bilder verwendet, die nicht er aufgenommen hat, sondern beispielsweise seine Ehefrau, die Künstlerin Magdalena Frey. Bei der Aufnahme von Einzelpersonen ist meist auch die Situation ablesbar, in der diese dem Fotografen gegenübertraten: wie etwa der in Untersicht erfasste, selbstbewusste Mann an seinem Gartenzaun, mit dem blühenden Obstbaum und dem Haus im Hintergrund im Blatt aus dem erwähnten Zyklus ›Donauraum‹.

HEINZ CIBULKA, Donauraum, 1988/2019; abgebildet in: HEINZ CIBULKA, bin ich schon ein bild?, hg. von Günther Oberhollenzer, Kat. Landesgalerie Niederösterreich, Wien: Verlag für moderne Kunst 2019, S. 35

Nach einer Phase des Betrachtens und Ordnens der Abzüge nach bestimmten Energien oder Leitthemen, erfolgt die Zusammenstellung der Bildgevierte. Obwohl formale Korrespondenzen für die Positionierung der vier Bausteine eine Rolle spielen, dienen sie nicht dazu, im entstehenden Vierergebilde eine stringent-schlüssige Verknüpfung herzustellen. Stattdessen entstehen Wechselwirkungen, mit denen eine Art Schwebezustand erreicht wird, eine dichte Wolke von Assoziationsfeldern, wie Heinz Cibulka es nennt (er publizierte dazu auch den Satz: ›Die Qualität des Konkreten liegt im Geheimnis, im Schwebezustand von Bedeutungen.‹)

Wenn ich nochmals das Beispiel aus ›Donauraum‹ heranziehen darf, dann sehen wir im Bild links oben eine Dreifaltigkeitsdarstellung aus einer Kirche, wo die Arme des Christus am Kreuzesbalken gleichsam ein Leitmotiv bilden, das im nebenstehenden Bild beim erwähnten Mann am Gartenzaun nachklingt und ebenso auch in den Spannbögen des Hebenetzes zum Fischen, jenem Foto, das auch auf der Einladungskarte abgebildet war. Das vierte Bild zeigt ein Stück Donauufer in Nahsicht – Gestein, Moos und trübes Wasser, die sich formal mit dem gemalten Kleidungsstoff der Gottvaterfigur der Dreifaltigkeit verbinden.

Die Assoziationskette, die dieses Bildgedicht (jedenfalls in meiner Lesart) auslöst, verläuft über diese horizontal gewölbte Figur in der Dreifaltigkeit, als Form einer beschützenden Geste, die sich im Bild darunter wiederholt, wo der Daubel, so heißt das Netz dieser besonderen Art des Fischens, so schön verbindend vor Landschaft und Wasserspiegel schwebt. Dieses tröstliche Bild wird durch den Gartenzaun-Steher konterkariert, in dessen Haltung ich eine unterschwellig paternalistisch-selbstgerechte Pose lese. Ambivalente Gedanken löst auch das Motiv des amorphen Gewölks aus, das sich in zwei Bildern findet: einerseits erinnert mich das Uferstück an die greifbare Materialität des Vergänglich-Stofflichen; andererseits steht das Gewölk im fotografierten Gemälde der Dreifaltigkeit wohl für das Ungreifbar-Überirdische.


Poesie der Tatsachen

Abschließend möchte ich die Fotokunst von Heinz Cibulka nochmals aus einem allgemeineren Blickwinkel charakterisieren: Der erste Schritt im fotografischen Aufnahmeakt ist die Wahl eines Standpunktes in Kombination mit einem Bildausschnitt; dieser schneidet gleichsam ein Fragment aus dem Raum-Zeit-Kontinuum der visuellen Wirklichkeit und bildet den Rahmen für die Konstellationen aller formalen Elemente innerhalb eines autonomen Bildraums. Wie viel Gestaltungspotential in diesem grundlegenden Prinzip liegt, wird deutlich, wenn man an die ausgeklügelten Kompositionen von Henri Cartier-Bresson oder die verfremdenden Perspektiven von Alexander Rodtschenko denkt.

Heinz Cibulka dagegen vermeidet eine derartige Kunstfertigkeit bewusst. Er lehnt eine sinnbildhafte oder spektakuläre Transformation der ursprünglichen Wahrnehmungserfahrung ab, da sie jene bereits mit der Ausschnittwahl einsetzende Dekontextualisierung vorantreibt, besonders bei einer prägenden auktorialen Handschrift des Fotografierenden. Ihm geht es in seiner Kunst gerade um die Vermittlung einer möglichst umfänglichen und unverfälschten Erfahrung von Wirklichkeit, mithin um die Überwindung von Verfremdung, was sich auch in der Wahl von Motiven niederschlägt, die weit mehr Sinne ansprechen als nur den visuellen.

Zwar sind auch seine Fotos gestaltete Ausschnitte, wie beispielweise die präzise Positionierung des Daubels in Relation zur Umgebung zeigt; aber Heinz Cibulka nutzt dieses Prinzip, um damit die Sinnesdaten zu dosieren, der natürlichen Aufnahmefähigkeit des Auges anzugleichen. Seine Aufnahmen entsprechen im Wesentlichen der Struktur eines bewussten Blickes in einem gleichsam idealen Seherlebnis: hinsichtlich dessen, wie viele visuelle Daten erfasst werden und hinsichtlich der Gewichtsetzung im Bild.

So, wie im Orgien-Mysterien-Theater keine Schauspieler eine Rolle oder Figur darstellen, sondern Akteure eingesetzt werden, die ihren Körper und ihre tatsächliche Empfindsamkeit unmittelbar ins Spiel bringen, so finden sich beispielsweise in Cibulkas Materialkästen wirkliche Samen, deren materielle Qualität für sich steht. Die Fotografie dient ihm als Speicher wie auch zur Anregung von umfassenden Seherlebnissen. Mit Blick auf Luises Ausstellungstitel könnte man sagen: Heinz Cibulka bleibt im Vergleich zu anderen Fotografiebetreibenden näher an der Wirklichkeit, näher am Geschehen, am Leben, im Moment (der Wahrnehmung wie auch des Auslösens); als Fotograf schwingt er sich nicht in die schwindelnden Sphären eines gestalterischen Virtuosenfurors, sondern er bleibt bewusst am Boden der Tatsachen.

›Tatsachen‹ war 1993 der Titel seiner ersten digitalen Collage und er erscheint mir für seine (foto)künstlerische Arbeit ingesamt relevant, und zwar in mehrerlei Hinsicht: zum einen auf der motivischen Ebene, indem er sich häufig Handlungs-bezogenen Themen bzw. Szenarien widmet; weiters in seiner Aufnahmepraxis, die sich als solche auch in den Bildern niederschlägt, indem die physische Aufnahmedistanz immer erkenntlich bleibt, etwa als Greifbarkeit von Gegenständen, die als erlebte Realitätspartikel gezeigt werden (und nicht als rein durch die Apparatur projizierte, optische Sensationen); weiters ist auch seine Montagearbeit, der Prozess des Ordnens, Auswählens und Zusammenfügens, ein Akt; und schließlich rufen seine Arbeiten auch die Rezipient:innen zur aktiven Anteilnahme auf, zur Erinnerung, Empfindung und Assoziation des Dargebotenen, das sich erst durch ›Mitarbeit‹ vollständig realisiert (wie etwa auch eine performative Prozession). Cibulkas arbeitet mit, in und an einem Raum der Handlung, in dem Kunst und Leben, ästhetische Gestaltung und Wirklichkeit, sich wie selbstverständlich und tatsächlich berühren, wobei er entdeckt, entwickelt und erfahrbar macht, was man eine ›Poesie der Tatsachen‹ nennen kann.