Interventionen an Raumphantomen. Zur interaktiven Rauminstallation ›under construction 01‹ von Doris Krüger

Katalogtext zur Ausstellung: Media Art Award, Herbert von Karajan Centrum Wien, 13.6.–28.7.2001. Publiziert in: starproject_01. senso_and visionary_links. Katalog mit CD und Texten von Arye Wachsmuth, Manfred Faßler, Brigitte Felderer, Didi Neidhart, Ferdinand Schmatz et al. zu den Arbeiten der Finalisten, Karajan Centrum, Wien 2001, S. 61–72

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Installationsansicht im Karajan Centrum, Wien

Die interaktive, multimediale Rauminstallation ›under construction 01‹ von Doris Krüger (geb. 1974) setzt sich mit der Mediatisierung von Räumen, ihrer Wahrnehmung, Konstruktion und Repräsentation auseinander. Ein abgedunkelter Raum verjüngt sich bühnenartig; die so verkleinerte Rückwand bildet die Projektionsfläche für eine digitale Bildanimation mit elektronischer Musik. In der Projektion erscheint eine weiße Rasterzeichnung auf schwarzer Grundfläche; sie markiert die Eckkanten eines einfachen Raumes in perspektivischer Darstellung und beschreibt so Boden, Rückwand, Decke und zwei Seitenwände. Diese fünf Positionen im Raumraster werden nun jeweils unabhängig voneinander gefüllt, indem sich entsprechende Architektur(bild-)teile vom Rand her an die vorgesehene Stelle schieben; die Rückwand, die einzige geschlossene Form, wächst aus dem Fluchtpunkt heraus. Diese Konstruktionsprozesse, die jeweils mit Sound gekoppelt sind, werden durch die Besucherbewegung mittels Sensoren ausgelöst; eine an die Sensoren geschlossene Real-Time-Software steuert die Bild- und Tonabläufe sowie die Auswahl der jeweils eingefügten Elemente mittels Zufallsgenerator.

Die einzelnen Bildfragmente, aus denen sich sukzessive verschiedene Raum-Zusammensetzungen aufbauen, entstammen einem komplexen Transformationsprozess: Die Künstlerin fand im Internet zahlreiche öffentliche Innenräume mit unterschiedlichen Funktionen, etwa Turnsäle, Schulungsräume oder Ausstellungshallen, die alle auf ähnliche, frontalperspektivische Weise fotografiert worden waren. Diese Raumbilder dienen der identifikatorischen Verortung einer Institution oder der Präsentation eines neuen Gebäudes auf der Homepage eines Architekturbüros. Der dokumentarische Charakter, den diese Zusammenhänge offenbar erfordern, schlägt sich in formal strengen, meist weitwinkeligen Aufnahmen nieder. Deren ›Guckkasten‹-Struktur suggeriert Totalität, sowohl Vollständigkeit der Räumlichkeiten als auch vollständige Überblickbarkeit, und kann somit als ein Emblem für die Zentralperspektive gelten: Die Konstruktion einer kohärenten, homogenen Raumillusion, die auf einen imaginären körperlosen Betrachter hin organisiert ist. Auch die fotografische Projektion folgt (physikalisch gesehen) zentralperspektivischen Gesetzen.

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Installationsansicht im Karajan Centrum, Wien (Animationsstill)

Mit der Veröffentlichung im Internet wurde die analoge fotografische Aufzeichnung der Räume allerdings der Digitalisierung unterzogen. Dies ermöglichte eine Weiterbearbeitung der Fotografien im digital darkroom. Hier nun wurden die Bilder der jeweiligen Räume auf ein ›Mittelmaß‹ hin verzerrt; alle Räume wurden gleich hoch, gleich breit und gleich tief gemacht, wofür im Bildbearbeitungsprogramm die fünf Elementarflächen eines jeweiligen Raumes extra zu bearbeiten waren. Die Eingriffe der Künstlerin in die perspektivischen Raumbilder begannen also mit einer Zerlegung, wobei die Raumkanten, an denen sich die Fluchtlinien der Perspektivkonstruktion manifestieren, die Schnittlinien abgaben. Die Einzelteile können nun als geometrisch zweidimensionale Figuren in das ausgemittelte Raster eingepasst werden. Die bearbeiteten Raumbilder weisen zwar noch alle ›Symptome‹ der ursprünglichen Fotos auf, sind aber in ihrem räumlichen Zusammenhang ›gestört‹ – wie in einem Phantombild, in das zwar alle Individual-Merkmale eingetragen wurden und das dennoch disparat wirkt. Den Mangel an Homogenität glich die Künstlerin durch eine Re-Individualisierung aus, indem sie jedem Raum eine eigene Farbtönung zuordnete.

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Installationsansicht im Karajan Centrum, Wien (Animationsstill)

An dieser Stelle setzte die Arbeit der beiden Musiker ein, die für jeden Raum ein spezifisches ›Klangbild‹ komponierten. Ansatzpunkt ihrer akustischen Raum-Gestaltung war keine ›unmittelbare‹ Erfahrung der – übrigens in aller Welt verorteten – Architekturen, sondern ausschließlich vermittelte Information: Neben der Funktion der Räume waren dies vor allem die bildlich-visuell manifeste Raumwirkung und die für akustische Raumqualitäten so wichtige materielle Stofflichkeit der Oberflächen; nicht zuletzt spielte die von der Künstlerin vorgegebene Farbigkeit jedes Raumbildes eine Rolle. Entscheidend blieb auch dabei die Aufspaltung der einzelnen Raum-Klang-Bilder in jeweils fünf, den Raumbild-Elementarflächen entsprechende, Einheiten – in diesem Falle unabhängige Sounds, die in fünf jeweils unterscheidbaren Frequenzbereichen liegen (Bässe entsprechen beispielsweise den Boden-Elementen, Höhen den Decken-Elementen). Diese Struktur ermöglicht schließlich auch die Re-Kombinierbarkeit der Sounds als Musik für fünf Lautsprecher.

Die stringente Koppelung von visueller und akustischer Raum-Repräsentation erweist sich unter den Bedingungen der faktischen Aufführung als kreativer Spielraum mit unzähligen Möglichkeiten: Bei jeder Platzierung eines neuen Elementes loopt nach einem kurzen Intro der dazugehörige Sound fortlaufend (bis zu seiner Überdeckung bzw. Ablösung durch ein neues Element). Da die einzelnen Sounds unterschiedlich lange andauern, ergeben sich stets neue Zusammenklänge, selbst wenn ein und dieselbe Raumbild-Konstellation längere Zeit stehen bleibt. Die Musik ist also mehr als eine bloße Indikation oder ›Untermalung‹ jener durch die Besucherfluktuation ausgelösten Bildbewegung – und auch mehr als eine assoziative Illustration der Räume, die damit entstehen; denn der musikalische Rhythmus sowie der Nachhall von Tonsignalen erzeugt einen fiktionalen Klangraum. Dieser Raum ist allerdings im Unterschied zum Ausgangspunkt – der zentralperspektivischen Sehpyramide als Bildraum – ein de-zentrierter, der zudem ganz entscheidend unmittelbar somatisch empfindbar ist. Die körperliche Präsenz bzw. Bewegung der BesucherInnen ist gleichwohl die Voraussetzung für die In-Gang-Setzung der konstruktiven Abläufe. Eine rein kontemplative Betrachtung wird darüberhinaus durch spezifische Momente gestört: Nach einer bestimmten Anzahl von Sensorenreaktionen setzt der Sound aus und eine Planzeichnung sowie die unbearbeitete Fotografie eines Raumes werden eingeblendet.

DORIS KRÜGER, under construction 01, 2001. Installationsansicht im Karajan Centrum, Wien (Animationsstill)

So führt ›under construction 01› in einem ambivalenten Verhältnis von dekonstruktiven (analytischen) und konstruktiven (synästhetischen) Prozessen Projektionen im mehrfachen Sinn des Wortes vor: Neben perspektivischer Raumabbildung auch imaginäre Prozesse metaphorischer Übertragung, Verschmelzung und Verschiebung, wie sie in Begriffen wie Bildraum und Klangfarbe anklingen, oder wie sie räumlichen Vorstellungen von Handlungsfeldern, wie dem Graphic User Interface am Computer, zugrunde liegen. Schließlich wird mit der Verschränkung von digital bearbeitetem Foto-Bildraum und physisch erlebbarem Aktionsraum auf eine Diskussion im Spannungsfeld illusionärer und virtueller Räumlichkeit verwiesen – also den Wechsel vom externen, körperlosen zum involvierten Betrachter elektronischer Interaktivität. Dass hier digitale Raumkonstruktion nachstellbar wird, die auf entstellte Raumprojektionen zurückgeht, ist wohl als eine ironische Brechung von Modellen räumlicher Simulation zu lesen, die allzu optimistische Utopien von neuen Handlungsräumen in virtueller Räumlichkeit kritisch unterläuft.